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Demo gegen gnadenlose Haftbedingungen

■ Angehörige der politischen Gefangenen in der BRD demonstrierten in Hamburg gegen Isolationshaft und für Zusammenlegung / Freilassung des schwerkranken Günter Sonnenberg und Operation von Angelika Goder ohne Staatsschutzkontrolle gefordert / Zunahme von Repressionen gegen Gefangene und deren Angehörige

Aus Hamburg Peter Müller

Trotz massiver Sicherheitsvorkehrungen anläßlich der „4. San Jose–Konferenz“ der europäischen Außenminister mit Vertretern aus Mittelamerika im Hamburger Kongreß–Centrum kam es am Dienstag vergangener Woche zu einer spektakulären Aktion: Ein Dutzend Frauen und Männer ketten sich an der Esplanaden– Brücke an und entrollen in Sichtweite zum Tagungsort Transparente mit der Aufschrift „Zusammenlegung der Inhaftierten aus RAF und Widerstand“. Es war keine der üblichen Solidaritätsdemonstrationen, wie sie gelegentlich die „linke Szene“ durchführt. Die ProtestlerInnen sind vielmehr die Angehörigen der in der Bundesrepublik inhaftierten politischen Gefangenen. Sie kamen aus Frankfurt, Bochum, Hannover, Karlsruhe, Berlin und Hamburg, und wollen mit ihrer Aktion auf die menschenunwürdigen Haftbedingungen aufmerksam machen, denen ihre Töchter, Söhne, Schwestern und Brüder zum Teil seit über einem Jahrzehnt ausgesetzt sind. Und sie hatten zwei ganz konkrete Forderungen: „Freilassung von Günter Sonnenberg“ und „Operation von Angelika Goder ohne Staatsschutzkontrolle im Krankenzimmer“. So manche Passanten stutzten: „Operation ohne Staatsschutzkontrolle?“ „Wieso ist der Staatsschutz bei einer Operation dabei?“ „Operation im Krankenzimmer - ja wo denn sonst?“ Einige hörten den Begriff „Isolationshaft“ zum ersten Mal. Und andere, die sogar mit dem Wort „Isolationsfolter“ etwas anfangen konnten, haben ihr Wissen über die Stammheim– Prozesse, Isolationstrakte und politischen Inhaftierungen verdrängt, obwohl in jeder größeren Stadt politische Gefangene einsitzen. „Ach sind die immer noch im Knast?“ „Oh ja, da müßte man ei gentlich mal wieder etwas gegen machen...“ Für die Angehörigengruppe war die Aktion ein neuer „Auftakt“, um auf die lebensbedrohlichen und schikanösen Knastbedingungen aufmerksam zu machen. Zum Beispiel das Schicksal von Günter Sonnenberg. Bekanntlich war er bei seiner Verhaftung vor elf Jahren durch einen Kopfschuß schwer verletzt worden und leidet seither an Epilepsie. Obwohl mehrere Mediziner damals seine Haftunfähigkeit bescheinigten, sitzt Sonnenberg seit Jahren in strikter Isolationshaft. Die Angehörigen: „Jeder Schritt zur Wiederherstellung seiner Gesundheit wird damit gezielt verhindert.“ Damit Sonnenberg in seiner abgeschirmten Zelle keinen Anfall bekommt, geben ihm die Anstaltsärzte das Antiepileptikum „Rivretil“. Das Medikament hat gravierende Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Schwindel, die die Wirkung der Isolation Punkt dem Knastapparat total ausgeliefert ist. Günter Sonnenberg ist daher bestrebt, das Medikament abzusetzen, was allerdings nur schrittweise unter fachärztlicher Kontrolle möglich wäre. „Obwohl dies allgemein bekannt ist, setzte ein Arzt vom Knastkrankenhaus Hohenasperg das Medikament im März 1985 ohne Kontrolle abrupt ab. Günter hatte daraufhin im Mai des Jahres einen epileptischen Anfall. Wir wissen heute, daß diese Handhabung lebengefährlich war und betrachten dies einmal mehr als Mordversuch“, beklagen sich die Angehörigen. Eine vertrauensärztliche Untersuchung oder die Hinzuziehung von auswärtigen Spezialisten lehnte die Anstaltsleitung ab. Auch das Sicherheitsrisiko da durch zu vermindern, daß Günter Sonnenberg mit dem ebenfalls in Bruchsal einsitzenden Roland Mayer zusammen auf eine Zelle gelegt wird, wurde kategorisch abgelehnt. Für die Angehörigen haben diese Maßnahmen nur ein Ziel: „Sie wollen Günter zwingen, seine Identität, seinen Kampf aufzugeben und ihm abzuschwören.“ Eine ausreichende medizinische Betreuung wurde auch der im Berliner Knast Moabit einsitzenden Angelika Goder verweigert. Obwohl bei ihr dringend eine Hüftoperation durchgeführt werden muß, wollten die Staatsorgane einem Eingriff in einer Spezialklinik nur dann zustimmen, wenn während der Operation und später am Krankenbett ein Staatsschützer Wache halten darf. Angelika Goder lehnte diese schikanöse Prozedur natürlich ab. Eine aus der Angehörigengruppe: „Als wenn man nach einer Hüftoperation einfach weglaufen kann. In den Krankenhausfluren wimmelt es ja ohnehin von Polizisten.“ Überhaupt sind die politischen Inhaftierten und deren Angehörige in den letzten Wochen wieder vermehrt Schikanen ausgesetzt. „Obwohl in den verschiedenen Knästen mehrere Gefangene inhaftiert sind, dürfen sie untereinander keinerlei Kontakt aufnehmen“, berichtet die Mutter einer Inhaftierten: „Wenn heute eine Gefangene geduscht hat, dann darf schon die nächste Gefangene an diesem Tag nicht mehr in die Kabine!“ Der Bruder einer Inhaftierten erläuternd: „Es gibt eine Vielfalt von Maßnahmen, die nach außen hin als Lapalie wirken, doch sie reduzieren die Persönlichkeit der Gefangenen und stellen für sie einen gravierenden Ein schnitt dar.“ So zum Beispiel, als in den Haftanstalten die Gefangenen nicht mehr als 50 Briefe auf der Zelle haben dürfen. Weitere Briefe, so die Angehörigen, bekämen sie erst dann, wenn sie die anderen Briefe wieder abgeben. Eine Mutter dazu: „Wenn ich mit meiner Tocher brieflich über einen längeren Zeitraum eine Sache diskutieren will, dann ist sie nicht einmal in der Lage, auf alte Briefe zurückzugreifen.“ Bei Barbara Ernst, die in Hamburg sitzt, würde es sogar noch drastischer gehandhabt: „Wenn sie einen neuen Brief bekommen will, muß sie den letzten wieder herausgeben.“ Briefe politischen Inhalts werden ohnehin als „Gefährdung von Sicherheit und Ordnung“, wie es jüngst der Grün–Alternativen Liste widerfuhr, zurückgewiesen. Auch im sogenannten „Normalvollzug“ wird darauf geachtet, daß die Gefangenen untereinander keinen Kontakt aufnehmen. „Vor dem Fenster meiner Tochter wurden Absperrungen und Fliegengitter angebracht, damit andere Gefangene bei Hofgang nicht mit ihr sprechen. Und wenn das doch jemand mit ihr gemacht hat, kommt der Wärter gleich in die Zelle gestürzt und reißt sie vom Fenster weg“, erzählt eine Mutter. Wenn sie ihre Tochter besuchen will, dann muß die Inhaftierte sich zuvor ausziehen. „Ich bin schwerhörig und konnte mit Trennscheibe immer nichts verstehen. Damit ich nun ohne Trennscheibe sprechen kann, zieht sie sich eben aus. Und das, obwohl ich vorher immer durchsucht werde.“ Die ältere Frau erzählt dann von anderen Pingeligkeiten der Anstaltsleitung von Brackwede I. Als Sieglinde Hoffmann einer anderen Gefangenen einen Eßlöffel Mehl zum Keksebacken auslieh, durfte die ebenfalls inhaftierte Ingrid Jacobsmeier von dem Gebäck nichts abhaben. Die Mutter: „Die wollen mit aller Gewalt, daß sie voneinander nichts erfahren. Wenn sie nämlich von ihren Genossen etwas sehen, hören und etwas bekommen, führt das natürlich zu einer emotionalen Stärkung.“ Selbst wenn die Angehörigen bei ihren Besuchen über andere Inhaftierte berichten, kann dies zur Verweigerung von Besuchsgenehmigungen führen, was bei den Angehörigen natürlich auf Unverständnis stößt: „Das sind politische Menschen, die nicht nur übers Wetter reden wollen.“ Von der in den letzten Monaten initiierten Amnestie–Debatte halten die Mütter und Geschwister allerdings nicht viel: „Wir haben dazu nichts gesagt, weil es dazu nichts zu sagen gibt. Die Debatte ist von Leuten initiiert worden, die ein politisches Ziel vertreten, das nichts mit dem Selbstbestimmungsrecht der Gefangenen zu tun hat.“

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