: Weizsäcker und das alte Glasperlenspiel in Mali
■ Anläßlich des BRD–Präsidenten–Besuchs in Mali erläßt Entwicklungsminister Hans Klein dem Land 70 Millionen Mark Schulden / Die nette Geste ist in Wahrheit keinen Groschen wert / Mali hat immer noch keinen Verkehrsweg zum Meer
Aus Bamako Knut Petersen
Fünf Tage lang lebte Mali im Teutonentaumel. Die Nationalzeitung druckt schwarz–rot–gold umrahmte Sondernummern, im Radio verdienten mit Zischlauten wenig vertraute Stimmen ihr tägliches „Weisäcker“–Brot, und im Fernsehen wurde auch die kleinste Geste des Staatsbesuchs in dokumentarischer Länge wiedergegeben: Die deutsch–malische Freundschaft lebte so hoch, daß man sie beinahe aus den Augen verlor. Worauf aber gründet sich diese Freundschaft? Im Wesentlichen auf die Nettigkeit der guten Deutschen, Geld zu geben - trotz allem. Bonn war 1960 die erste Hauptstadt, welche die Unabhängigkeit der vormals französischen Kolonie anerkannte. Seither hat Mali rund eine Milliarde Mark Hilfe empfangen - das entspricht der Hälfte des derzeitigen Bruttoinlandsprodukts. Und auch diesmal kam man nicht mit leeren Händen: Der mitreisende Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Hans Klein, schrieb Schulden in Höhe von 70 Millionen Mark in nicht–rückzahlbare Zuwendungen um. Es handelt es sich dabei um das übliche Glasperlenspiel, auf das die Afrikaner seit jeher hereinfallen: Die 70 Millionen Schulden sind der malische Anteil an Krediten von insgesamt 200 Millionen Mark, die von der Bundesrepublik zum Bau des gigantischen Manantali–Staudamms drei Ländern zur Verfügung gestellt wurden: Mali, Senegal und Mauretanien. Die Anrainerstaaten hatten sich zuvor (seit 1972) zu einem Verbund zusammengeschlossen, der das Tal des Senegalflusses fruchtbar und schiffbar machen sollte. Und da steht er nun, der in Beton gegossene „weiße Elephant“, der eine Staufläche von der Größe des Bo densees auflaufen läßt. Aber leider hat das Eine–Milliarde–Projekt (15 Prozent davon kommen aus Bonn) einen empfindlichen Schönheitsfehler: Manantali ist ein anderthalb Kilometer langes und 66 Meter hohes Stauwerk... ohne Kraftwerk! „Trotz anfänglicher Versprechungen hat den Geberländern dazu am Ende das Geld gefehlt“, erklärte der Hochkommissar des Drei–Länder–Verbundes, Ahmet Mohammed Hamani, dieser Tage und zupfte die deutsche Delegation vor Ort offen am Ärmel. Aber niemand ist bereit, jetzt in ein Kraftwerk zu investieren, um tatsächlich Strom zu erzeugen - oder in die Anlage von Häfen, um dem landverschlossenen Mali einen Verkehrsweg zum Meer zu erschließen. Dazu aber sollte der großartige Staudamm ursprünglich dienen: er reguliert den Wasserstand des Senegalflusses, der damit über tausend Kilometer schiffbar wird - vorausgesetzt natürlich, man hat Schiffe und Häfen. Andernfalls ist die gute Ausgangsidee so absurd wie ein riesiges Stauwerk ohne Kraftwerk in Ländern, die ihre spärlichen Devisen für Erdöl ausgeben und thermische Kraftwerke betreiben. Bleibt als Trost: die Regulierung des Senegalflusses wird auf 50.000 Hektar bewässerte Landwirtschaft erlauben. Und die nette BRD hat zumindest die 70 Millio nen Mark Schulden abgeschrieben - das produziert keinen Strom und bringt keine Schiffe, beruhigt aber die Gemüter. Das übliche Glasperlenspiel. Richard von Weizsäcker ist allerdings - anders als Präsident Lübke vor 22 Jahren, nicht mit der dicken Gebertasche angereist. Im übrigen wird man dem 68 Jahre alten Herrn ein Kompliment machen müssen: er wollte möglichst alles mit eigenen Augen sehen. Eine Woche lang flog er in einem Land herum, das fünfmal größer ist als die Bundesrepublik. (Am Freitag erwischte den weitergereisten Präsidenten und seine Frau dann auch eine Magen–Darm–Grippe. d.red.) In Begleitung des malischen Staatschefs Moussa Traore reist der Bundespräsident in die legendäre Wüstenstadt Timbuktu, auf den Spuren des deutschen Geografen Heinrich Barth, der hier Mitte des vergangenen Jahrhunderts als einer der ersten Europäer Land und Leute studierte. „Timbuktu ist der lebendige Zeuge einer alten Zivilisation, von der wir Europäer leider nicht viel wissen. Dabei handelt es sich um eine Kultur, die jahrhundertelang Toleranz, Wissenschaft und eine sehr menschliche Form gemeinschaftlichen Lebens gelehrt hat.“ Der Mann mit den schlohweißen Haaren, der so sprach, ist bei den Maliern gut angekommen - und nicht nur bei den offiziellen. Und die anderen? Lohnt sich für sie, die einfachen Hackbauern in dem stetig mehr versandenden Sahelstaat, die deutsche Entwicklungshilfe? Weizsäcker hat sich im Dogon–Land kleine Stauprojekte angesehen; und ein Bewässerungsprojekt am Horo–See, das mitten in der Wüste 15.000 Hektar Grünfläche entstehen läßt. Hinter Wanderdünen, spärlichen Dornbüschen und Quadratkilometern von aufgebrochener Erdrinde überlebt hier eine landwirtschaftliche Oase, die heute mehr als 25.000 Menschen ernährt. Aber ist das mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein? Ähnliche Projekte, die alle der Wüste einen „grünen Riegel“ vorschieben sollten, sind nie über das Planungsstadium hinausgekommen. Die Bundesrepublik zahlt in Mali seit jeher und wohl auch weiterhin - trotz allem. Trotz eines Regierungssystems, an dessen Spitze ein Putschist den nationalen Applaus orchestriert: der heute zum General avancierte Moussa Traore - Weizsäcker hat ihn zu einem Gegenbesuch nach Bonn eingeladen - ergriff vor 20 Jahren die Macht und bemäntelt sie seit 1979 in rituellen Wahlen, die er als Einheitskandidat unbestritten gewinnt. Was schlimmer ist: sein bettelarmer Sahelstaat lebt von Hunger und Dürre. „Wenn es sie nicht gäbe, müßte man sie erfinden - für die 400 reichen Familien in Bamako, die alles en passant in die eigene Tasche stecken“, erklärt mit kaum verhaltener Wut ein Franzose, der hier seit zehn Jahren lebt. Und jedermann weiß, wer dieses „Syndikat der Bettelwirtschaft“ lenkt und regiert: Mariam Traore, die Frau des Präsidenten, und ein libanesischer Großhändler namens Azar. Vor den deutschen Journalisten jammerte Moussa Traore über die gefallenen Baumwollpreise. Warum er gleichwohl zu den fünf reichsten Männern Afrikas gehört, hat ihn niemand gefragt. Das hätte auch nicht viel geholfen, helfen würde nur, wenn sich die Malier fragten, warum sie zu nichts kommen und selbst die Staatsbeamten noch auf ihre Gehälter vom Dezember warten.
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