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Europa hat viel zu rüsten - die WEU packts an

■ Auf dem Colloquium der WEU zur „Europäischen Kooperation in der Rüstungsforschung“ in London äußerten Industrie und Militärs ihre Ängste und Hoffnungen für die Zukunft der Rüstung Europas / Die konkretesten Vorschläge kamen aus der BRD

Aus London Rolf Paasch

Während in diesen Tagen alle Welt von Abrüstung redet, hatte die Gruppe von rund 200 unscheinbaren, mittelalten Männern im Bauch des Londoner Queen Elisabeth Conference Centre Wichtigeres zu tun. Hier, auf dem Routine–Colloquium der „Westeuropäischen Union“ (WEU), ging es den hohen Militärs, den hochkarätigen Rüstungsindustriellen und einigen versprengten Parlamentariern aus den Verteidigungsausschüssen der sieben Mitgliedsstaaten um nichts anderes als ums „survival“, um das Überleben des europäischen Rüstungssektors. Doch trotz der vielfach artikulierten Zukunftsängste war der Umgangston auf dem zweitägigen, von den Medien kaum beachteten Treffens mehr als freundlich. „Ich freue mich“, so der Gesprächsleiter zu Serge Dassault, dem Präsidenten des französischen Rüstungskonzerns, wenn ein Produzent so stolz auf sein Produkt ist wie Sie, mein lieber Herr.“ Das Objekt von Freude und Stolz, so versteht sich, war das neueste Kampfflugzeug aus dem Hause Dassault. Aber auch Menschen kamen vor, im Klagelied des italienischen Präsidenten der „Vereinigung der Luftfahrtindustrien“, Enrico Gimelli beispielsweise, als sich dieser über die „Grenzen an menschlichen Ressourcen“ ausließ. Der gute Mann meinte damit den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften für die Herstellung der neuesten Killerautomaten des High Tech– Rüstungszeitalters. Aber zur Überwindung solcher Schwierigkeiten auf dem langen und beschwerlichen Weg zur „Goldenen Ära der europäischen Rüstungsindustrie“ war man ja schließlich hier zusammengekommen. Eröffnet hatte den rüstungspolitischen Reigen am Montag der britische Verteidigungsminister George Younger mit einem wahren Horroszenario: Wenn der Krieg morgen ausbreche, werde die NATO wegen der Nichtexistenz eines „interoperablen Freund–Feind–Identifikationssystems“ die eigenen Flugzeuge vom Himmel holen. Die Standardisierung und „Interoperabilität neuer Waffensysteme“, so legte es Maggies Kriegs–Knecht den Versammelten ans Herz, sei das dringendste Gebot der Stunde. Obwohl die EG ihrer Satzung gemäß nur für die wirtschaftlichen Aspekte „der Sicherheit“ zuständig ist, war ausgerechnet der Vizepräsident der EG–Kommission, Karl Heinz Narjes, der die konkreten Vorschläge zur Harmonisierung der europäischen Rüstungsstandards aus der Tasche zog. Die gastgebende WEU habe die „politischen Impulse“ für eine Kooperation in der Waffenproduktion zu geben, während sich die „IEPG“ (Independent European Programme Group) für die „Aufgabe der Promotion und Implementierung kooperativer Arrangements zur Waffenentwicklung und -produktion in Europa“ anbiete. Die IEPG, ein als ideeller Rüstungskapitalist fungierendes Gremium, auf dem Ex–Politicos und Vertreter des europäischen Rüstungsestablishments sitzen, müsse auf diese neue Aufgabe rasch vorbereitet werden, weil das Datum zur Einführung des europäischen Binnenmarktes 1992 auch für die Verteidigungsindustrie gelte. Der in einem offenen Brief der gesamten Regenbogenfraktion des Europaparlaments an Narjes gerichtete Aufruf, er dürfe die Verwirklichung des Binnenmarktes als EG– Kommissar nicht zum Vorwand nehmen, um „mit militärischen Industriellen über die Effektivierung der westeuropäischen Aufrüstungsanstrengungen zu beraten“, hatte bei dem CDU–Mann offensichtlich keine Wirkung hinterlassen. Mandat hin oder her, seine detaillierten Vorschläge über neue, von der EG aufzulegende Forschungsprogramme mit dualem, d.h. zivilem und mililtärischem Nutzen, wurden von den in London Anwesenden äußerst dankbar aufgenommen. Endlich mal ein Politiker, der der rüstungspolitischen Gleichschaltung der EG–Länder nicht im Wege steht, sondern den Trend zur Verzahnung von EG, WEU und IEPG noch unterstützt. Was Narjes, wie der Mehrheit der Colloquiums–Teilnehmer, für die Zukunft Europas vorschwebt, ist ein „Europe Incorporated“, über dessen „Verteidigungspolitik“ eine Reihe supra–nationaler (Rüstungs–)Konsortien zu entscheiden haben. Angesichts der bevorstehenden Ausräumung ökonomischer Hindernisse solcher Entwicklungen durch die Einführung des europäischen Binnenmarktes konzentrierten sich die Klagen der Redner in London auf das politische Hauptproblem auf dem Weg zur weiteren Aufrüstung: den „Gorbatschow–Faktor“, wie die Tatsache einer, die Bedrohung verkennenden und rüstungsmüden Öffentlichkeit in kriegerischen Insiderkreisen genannt wird. Statt den Frieden mit immer weniger Waffen zu schaffen, ging es in London um „bessere Waffen zu besseren Preisen“ und um die Senkung der Nuklearschwelle durch neue und präzisere Atomwaffen. Erst zum Ende der zweitägigen Tagung tauchte das schmutzige Wort von der „Abrüstung“ dann doch noch auf. Doch die etwas hilflose Frage der SPD–Abgeordneten Lilo Blunck, ob die allseits beschworene Integration Europas nicht besser zu koordinierten Abrüstungsanstrengungen als zur Rüstungskollaboration benutzt werden sollte, hinterließ auf den Antlitzen der versammelten Männerrunde nur den Ausdruck ungläubigen Staunens. Zur Diskussion solch abwegiger Fragen hatte die 1984 zur Rüstungspropaganda reaktivierte WEU die Vertreter des zukünftigen militärisch–industriellen Komplexes eines waffenvereinten Europas nun wirklich nicht nach London gerufen.

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