piwik no script img

„Das find ich jetzt nicht mehr gut“

■ Sexismus in der taz und anderswo / Wie gehen Frauen in anderen Medien damit um?

Eigentlich sah es so aus wie früher, als wir noch das allgemeine und geschlechtsunspezifische Hungergefühl hatten: als die Backen noch glühten und die Räume davon auch ohne Heizung warm wurden. Da saßen Leute nach langer, langer Zeit wieder zusammen, die unter normalen Umständen grußlos im Flur aneinander vorbeigehen, die ihre Verbindungstür zwischen den Räumen ostentativ und lautstark schließen, die einander Leben und Arbeiten schwer machen... die Fronten hatten sich nicht verändert, schlimmer: sie waren verwischt. Muß jetzt etwa einfach jeder Stellung beziehen, und ist der, der nicht dagegen ist, dafür? Ich habe wie üblich wieder keine Meinung, im Auto fielen mir nur meine Lieblingszeilen von Gernhardt ein: „Seien sie mir Titte nicht Möse, wenn ich Ihr Fickerchen störe...“ Aber das ist wohl kein geeigneter Diskussionbeitrag. Da kommt Martin mit der sanften Stimme: „Also Leute, heute abend wird das nichts mehr mit der Diskussion - morgen um zehn.“ Zu fünft im Auto lauschen wir dem örtlichen SF–Beat, wo Jungreporter in Nullkommanix zwei O–Töne mit nichtssagenden Worten kommentieren. In der regionalen Nachrichtensendung sehen wir, miteinander telefonierend, das Plenum vom Nachmittag und Wiglaf sagt: „Karnickelzüchter bleiben Karnickelzüchter, egal ob sie rechts oder links sind...“ „Das hab ich jetzt nicht verstanden“, sagt Nothnagel, „was haben denn jetzt Karnickel damit zu tun?“ „Er will sagen, daß es sich um eine kleinbürgerliche Scheiße handelt, die da abläuft.“ „Aha“, Nothnagel bleibt ratlos. Dieser Zustand scheint am nächsten Morgen bei allen eingetreten. Ich habe noch Brigitte Fehrle im Ohr - „Natürlich bin ich nicht einfach eine von den Frauen, die streiken, und natürlich geht es um viel mehr als diese blöde Seite. Aber wenn wir wollen, daß es diese Zeitung weiterhin gibt, dann müssen das alle ernst nehmen, was passiert, und wir müssen lernen, damit umzugehen. Doch ja, das wollen wir wirklich alle - oder?“ Im Hauruckverfahren wird vor der Redaktionskonferenz abgestimmt. Eine schreckliche Einrichtung. Die Frauen kriegen Recht und Rosteck eine Banane an den Kopf. Fast. „Das find ich jetzt nicht mehr gut“, sagt wer. - „Wir finden das schon lange nicht mehr gut“, giftet eine. Carlo fehlt in einem Punkt die Logik: „Wir können doch nicht erst beschließen, daß jemand für sexistische Sachen bestraft wird und dann richten wir eine Kommission für Sexismus ein.“ - „Hach ja, ihr Männer seid ja immer so logisch.“ - Jetzt wird noch schneller abgestimmt. „Ich wollt eh mal fragen, was Sexismus eigentlich ist.“ Gebrülle, lachen mag schon keiner mehr. „Droste und Höge sollen mal ne Weile aus unserem Blickfeld verschwinden“, verlangt Helga aus der Frauenredaktion. „Dann geh du mal für ne Woche nach Hause.“ Arno ist böse. Ich muß an strafende Mütter denken, Hausarrest, Fernsehverbot, Taschengeldentzug. Ein paar Männer wollen Wiglaf ganz die Fernsehseite entziehen und haben dazu ihre Unterschrift auf einen Zettel getan. Nein, darüber wird jetzt nicht abgestimmt. Dann sagt Georgia was von „einbringen“. - „Jeder kann doch etwas einbringen.“ Ich würde auch etwas einbringen, weiß nur nicht, was - irgendwas stimmt hier nicht, aber das kann man nicht sagen, das ist was für Schwingungsexperten und morphogenetische Feldforscher. Die haben wir hier nicht, wir haben nur Zornige und Gelangweilte, Hochmütige und Verwirrte, Wortgewaltige und Ungeschickte - unter ihnen Männer und Frauen. Die Männer machen Redaktionskonferenz, die meisten Frauen treffen sich zum Frauenplenum. Kein Sekt, kein Hurra. Maria macht Mut (aber ich dürfe sie nicht „Mutter der Streikenden“ nenne, sagt sie. „Dafür bin ich zu quer.“) „Ich fühle mich mißbraucht in der Abstimmung“, sagt eine. - „Jetzt kriegen die, die schon immer was gegen Wiglaf hatten, das, was sie wollten.“ „Das hat damit nichts zu tun, ich bin gegen jeden, der menschenverachtende Artikel schreibt.“ „Menschenverachtend“ hat „Betroffenheit, Trauer und Wut“ mittlerweile den Rang abgelaufen. „Ich werde ein Paper gegen die Dummheit schreiben“, wütet Bröckers, „das ist noch schlimmer als Sexismus.“ Sowas Ähnliches war mir auch eingefallen, aber vielleicht ist doch noch alles viel schwieriger. Renee Zucker

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen