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Gorbatschow ignoriert „slowenischen Frühling“

■ Bei seinem fünftägigen Jugoslawien–Aufenthalt besuchte der Kremlchef auch Slowenien, dessen Parteiführung scharfe Kritik am jugoslawischen Weg zum Sozialismus äußert / Das erhoffte öffentliche Lob blieb aus / Kritisches Wochenblatt wurde verboten

Aus Belgrad Roland Hofwiler

In Slowenien ist man enttäuscht von dem zweitägigen Besuch des Kremlchefs Gorbatschow in der jugoslawischen Minirepublik. Man hatte gehofft, der sowjetische Generalsekretär wolle sich hier Anregungen für seinen Reformkurs holen, nachdem er in Belgrad Abschied von der Breshnjew–Doktrin genommen hatte und Titos Bruch mit Stalin 1948 und den „eigenen Weg zum Sozialismus“ honoriert hatte. Die Tatsache, daß er sich zwei Tage in Slowenien aufhielt und Zagreb, das wichtigste Industrie– und Handelszentrum mied, wurde als politische Provokation der Zentralregierung in Belgrad gewertet. Die nämlich brandmarkt den Parteichef Sloweniens, Milan Kucan, öffentlich als „Revisionisten“ und „Abweichler“. Er ist einer der wenigen, der dem Überdruß der jugoslawischen Bevölkerung mit der Tito–Verehrung Rechnung trägt. „Ein Sozialismus, der mit den Worten Churchills redet und nichts gebracht hat als eine gerechte Verteilung der Armut, kann uns nicht stimulieren“, meint er. „Einen Ausweg aus der Krise kann es nur geben, wenn wir uns bedingungslos zum Prinzip der ökonomischen Leistungsfähigkeit bekennen. Wir werden uns von der Illusion lösen müssen, daß der Staat jedem ein Dach über dem Kopf sichern kann. Alle Kategorien, die in der Welt des Kapitals vorkommen, müssen auch bei uns durchgesetzt werden.“ Das sind Worte, die in Jugoslawien außerhalb Sloweniens verpönt sind. Ebenso verpönt ist, daß Kucan Oppositionellen in den Medien Platz einräumt. Nur das slowenische Parteiorgan Delo brachte Berichte über die Ost–Berliner Luxemburg–Demonstration und druckte den Protestbrief, den slowenische Oppositionelle gemeinsam mit Adam Michnik, György Konrad und Charta–77–Aktivisten anläßlich der „Freilassung“ von Stefan Krawczyk aufsetzten, in voller Länge ab. Kucan traf sich kürzlich auch mit France Tomsic, der fordert, daß neben der Kommunistischen Partei auch eine sozialdemokratische Partei zugelassen wird, da es ohne organisierte Opposition keinen Sozialismus geben könne. Für das gleiche Anliegen bekam gleichzeitig in Südjugoslawien Branko Tuco sechs Monate Knast aufgebürdet. Auf die Frage, ob der slowenische Weg zum Sozialismus das Ergebnis einer jahrelangen aktiven „Glasnost“–Politik sei, antwortete kürzlich der Chefredakteur des Wochenmagazins Mladina, Franci Zavrl: „Wir erleben hier eher einen Prager Frühling.“ Aber auch die Grenze dieses Frühlings wurde deutlich. Während der Kremlchef die Altstadt von Ljubljana besichtigte, wurde die neueste Ausgabe von Mladina, das kritischste Wochenblatt Sloweniens, verboten. Sie enthielt eine verspätete Analyse der Ereignisse um die Luxemburg–Demonstration in Ost–Berlin und einen Kommentar mit dem Tenor, man könne gerne auf einen Sozialismus verzichten, der nur Armut, Inflation, Arbeitslosigkeit und Hungerlöhne beschere. Anders als erhofft nahm Gorbatschow zu alldem keine Stellung, über seine Gespräche mit Kucan wurde nichts bekannt. Mehr noch, er setzte sich kritisch mit den Mängeln der slowenischen Wirtschaft und Absatzschwierigkeiten slowenischer Produkte auf dem westeuropäischen Markt auseinander. Obwohl Slowenien innerhalb Jugoslawiens als wirtschaftlicher Musterknabe gilt, ist es nicht von der jahrelangen Wirtschaftskrise verschont geblieben: Im vergangenen Jahr mußten 232 Betriebe einen Verlust von umgerechnet 242 Millionen DM hinnehmen. Durch die Praxis, Vorprodukte im Westen einzukaufen, die Endprodukte jedoch in die Sowjetunion zu exportieren, entstehen gewaltige Devisenverluste. Bei dem Besuch Gorbatschows in der Elektronikfirma Iskra Avtomatika in der slowenischen Stadt Ljubljana konterte Gorbatschow die Klage des Generaldirektors, die Wirtschaftsreformen in der Sowjetunion hätten die wirtschaftliche Zusammenarbeit schwieriger gemacht, mit den Worten: „Dann baut doch bei euch um.“ Am Freitag abend flog Gorbatschow nach einem Besuch der Adriastadt Dubrovnik nach Moskau zurück.

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