: Serienkündigung abgeschmettert
■ Türkischer Schweißer soll zu spontanem Streik aufgerufen haben / Bremerhavener Werft schickte ihm deshalb dreimal die Kündigung / Arbeitsgericht entschied gegen die Geschäftsleitung
Aus Bremen Michael Weisfeld
Das Urteil, das ihm Recht gab, hatte er in der Hand - am Pförtnerhäuschen kam er dennoch nicht vorbei. Die Personalabteilung der Seebeck–Werft in Bremerhaven ließ dem Elektroschweißer Bedi Genc ausrichten, daß er die Werft nicht betreten dürfe. Nach dem Urteilsspruch des Arbeitsgerichts bot Genc der Werft allmorgendlich seine Arbeitskraft an. Am Dienstag war es dann so weit: Genc bekam seinen Arbeitsanzug und sein Werkzeug wieder. Im September des vergangenen Jahres hatte der IG Metall–Vertrauensmann Genc beides abgeben müssen, er war entlassen worden. Die Geschäftsleitung warf ihm vor, er habe seine überwiegend ausländischen Kollegen aus der Schweißerei aufgefordert, aus Protest gegen schlechte Akkordzeiten die Arbeit niederzulegen. Soll man den gemaßregelten Gewerkschafter unterstützen oder fallen lassen? Im Betriebsrat der Werft wurde diese Frage erbittert diskutiert. Denn dort standen und stehen sich zwei konkurrierende Gruppen gegenüber: die rechtssozialdemokratische Mehrheit um den Vorsitzenden Günter Linde und eine linke Minderheit, zu der auch DKP–Mitglieder gehören. Bedi Genc ist zwar parteilos - arbeitete aber im Betrieb mit den Linken zusammen. Die Betriebsratsmehrheit zeigte deshalb wenig Neigung, Genc unter die Arme zu greifen. Der fristlosen Kündigung stimmte der Betriebsrat zwar nicht zu. Als der Werftvorstand aber wenige Tage später eine fristgemäße Kündigung nachschob, widersprach er nicht. Bedi Genc, seit 16 Jahren auf der Werft beschäftigt und Vater von vier Kindern, mußte gehen. Weniger Glück als beim eigenen Betriebsrat hatte die Werft beim Bremerhavener Arbeitsgericht: Für die fristlose Kündigung war den Richtern die Begründung nicht ausreichend. Und bei der fristgemäßen hatte die Werft sich um vier Tage verrechnet. Das entschied das Arbeitsgericht im Dezember. Genc durfte wieder arbeiten, aber nur für die letzten sechs Tage des Jahres 1987. Denn als die Werft ihre arbeitsrechtlichen Felle davonschwimmen sah, hatte sie ihm ein weiteres Mal gekündigt, „vorsorglich“, wie es in dem Entlassungschreiben hieß. Dieser erneute Rausschmiß wurde zum ersten Januar wirksam und war in der letzten Woche Thema vor dem Bremerhavener Arbeitsgericht. Daß die Werft ihrem Schweißer solange kündigt, bis er den Mut verliert, mochten die Richter in der letzten Woche dann nicht billigen. Aber die Werft hat schon wieder Berufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt. Von der Werft–Leitung war in den vergangenen Tagen kein Kommentar zum Fall Genc zu bekommen. Den Herren ist die Sache peinlich. Schließlich ist die ehemalige Krupp–Werft heute ein sozialdemokratischer Regiebetrieb. Ein ehemaliger Spitzenbeamter aus dem Wirtschaftsressort des Senats war Vorstandsvorsitzender, als Bedi Genc gefeuert wurde.
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