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Objektiver König der Franzosen

Der Pariser Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung porträtiert wie folgt: „Je näher man der Person des Präsidenten steht und mit eigenen Augen das Treiben desselben beobachtet, desto leichter wird man getäuscht über die Motive seiner Handlungen, über seine geheimen Absichten, über sein Wollen und Streben.“ In der Tat hat Franois Mitterrand auch gegenüber seinen engsten Beratern im Elysee–Palast immer Abstand gewahrt. Seine Neigungen und seine persönliche Entscheidungsfindung während der sieben Jahre im höchsten französischen Amt blieben denen fremd, die dem Präsidenten auf zahlreiche Fragen Antwort gaben, Gutachten lieferten, Prognosen erstellten, und dabei miteinander nicht selten in Konkurrenz standen. So wünschte es Mitterrand, der schließlich, stets einsam, seine letzendliche Entscheidung traf. Sein Stil dominierte im Elysee–Palast. Das Genossen–“du“ war hier nie gefragt. Die Berater blieben Spezialisten in ihrem Bereich, was ihm ermöglichen sollte, seine Motive im Ganzen für sich zu bewahren. Der Porträtist fährt nun fort: „In der Schule der Revolutionsmänner hat er jene moderne Schlauheit erlernt, jenen politischen Jesuitismus, worin die Jakobiner manchmal die Jünger Loyolas übertrafen.“ Kein Zweifel, daß Franois Mitterrand, in präsidentiellen Würden mehr denn je zuvor, von den Erfahrungen in der französischen Resistance und später in der Linksunion mit den Kommunisten profitierte. Seine private Enthaltsamkeit, jesuitisch auch im Sinne seines von Gerechtigkeitssinn und Askese geprägten Moralverständnisses, konnte ihn sieben Jahre lang jeder skandalsüchtigen Verdächtigung entziehen, wie sie einst den Vorgänger Valery Giscard DEstaing traf und stürzte, spätestens als die Franzosen von Bokassas Diamanten in des Präsidenten Privatfach erfuhren. Schlauheit in der Revolution, das lernte er zudem, ist allzuoft die Wahl des Bündnispartners. Die Erkenntnis verließ ihn auch dann nicht, als er in höchste Not geriet. Denn als sein Parlament stürzte, wählte er den Erzrivalen Jacques Chirac neben sich und konnte ihn damit politisch einbinden und kontollieren, gerade wie es ihm zuvor bereits mit den Kommunisten gelungen war. „Zu diesen Errungenschaften“, schreibt nun die Augsburger Allgemeine, „kommt noch ein Schatz angeerbter Verstellungskunst, die Tradition seiner Vorfahren, der französischen Präsidenten,(...) die immer mehr Fuchs als Löwe waren und einen mehr oder minder priesterlichen Charakter offenbarten.“ Hier sieht man Franois Mitterrand beim Gipfel von Versailles, auf den Treppenstufen Ludwig XIV., oder beim Handschlag mit Helmut Kohl über den Gräbern von Verdun. Der Präsident, von dem gesagt wird, er wäre ein großer Literat gewesen, der jeden Morgen den Gang zum Bücherladen liebt, Franois Mitterrand hat es im Amt verstanden, Haltung einzunehmen. Sein steifer Gang, sein leicht gehobenes Profil skizzierten den souveränen Herrscher, so wie er dem Nationalstolz der Franzosen gefiel. Priesterlich sprach er zum Volk zuletzt nur noch von der tricoloren Kanzel, zum Neujahr jedes Jahr. Daß sein Bild, wenn er die Ehrenlegion abschritt, den alten General hochleben ließ, erschien allen gaullistisch gesinnten Franzosen gerade recht. Hinter der staatsmännischen Fassade dennoch den politischen Fuchs zu erkennen, faszinierte die Franzosen zusätzlich. Franois Mitterrand durfte stets mit der Rücksicht seiner Landsleute rechnen, solange er das Gesicht Frankreichs wahrte und der Demonstration staatlichen Selbstbewußtseins keinen Abbruch tat. Schon deshalb konnte er kohabi tieren. Weiter erkennt der Pariser Korrespondent: „Zu der angelernten und überlieferten simulatio und dissimulatio gesellt sich noch eine natürliche Anlage bei Franois Mitterrand, so daß es fast unmöglich ist, durch die wohlwollende dicke Hülle, durch das lächelnde Fleisch, die geheimen Gedanken zu erspähen.“ Franois Mitterrand lächelte, wenn es drauf ankam, im Fernsehen und bei seinen zahlreichen Provinzreisen. Doch er lächelte, ohne sich preiszugeben. Schon Machiavel hatte die Kunst der Simulation und Dissimulation, der Dar– und Verstellungskunst des Herrscherrs, als das Geheimnis der Staatskunst erkannt. Und der Präsident hat ihn gut gelesen. Franois Mitterrand hat dieses Wissen freilich seiner Zeit gemäß angewandt, der Zeit der Postmoderne, wie man sagt, in der die TV–Gestik eines Politikers mehr zählt als sein politisches Programm, in der zählt, wer am besten vertuscht, heuchelt, verführt. Deshalb gab der Präsident im Amt Utopie und Sozialismus schleunigst auf, zog sich schließlich ganz zurück auf die großen Ideale der Republik: Liberte, Egalite, Fraternite. Für die aber stand er ein - mit allem ihm zu Gebote stehenden Pathos. Simuliert war es prächtig. „Aber gelänge es auch“, meint jetzt die Augsburger Allgemeine, „bis in die Tiefe des präsidentiellen Herzens einen Blick zu werfen, so sind wir dadurch nicht weit gefördert, denn am Ende ist eine Antipathie oder Sympathie nie der bestimmende Grund der Handlungen Franois Mitterrands, er gehorcht nur der Macht der Dinge (la force des choses), der Notwendigkeit.“ Die „Notwendigkeit“ hat den Präsidenten in sieben Jahren weit getrieben, vom Führer der Linksunion, vom Imperativ des „Bruchs mit dem Kapitalismus“ bis zur Rolle des Vaters der Nation. Sympathie ließ er nicht gelten, als er 1984 seinen ersten Premierminister Pierre Mauroy fallen ließ, den bodenständigen sozialistischen Freund, und für ihn den kühlen Technokraten Laurent Fabius einsetzte. Antipathie wiederum ignorierte er, als er die Kohabitation mit Jacques Chirac wählte - und nicht etwa mit seinem gaullistischen Vertrauten Jacques Chaban–Delmas. Notwendig aber waren seine Entscheidungen allemal. Fabius gehorchte dem Rechtsrutsch der Sozialisten, Chirac dem der Gesellschaft. Franois Mitterrand aber gehorchte nur der Macht der Dinge. Endlich beschließt der Porträtist sein Gemälde mit dem Hinweis: „Alle subjektive Anregung weist er fast grausam zurück, er ist hart gegen sich selbst, und ist er auch kein Selbstherrscher, so ist er doch ein Beherrscher seiner selbst; er ist ein sehr objektiver Präsident.“ Franois Mitterrand mutet sich heute, 71jährig, sieben weitere Jahre an der Macht zu, wo er zu Hause Bücher schreiben könnte - er ist hart gegen sich selbst. Franois Mitterrand handelt dabei nicht willkürlich oder ignorant, sein Ansehen und seine Popularität bei den Franzosen erst machten seine Entscheidung möglich - er ist kein selbstverliebter Herrscher. Daß er seine Kandidatur so spät verkündete, wenn auch zum eigenen Nutzen, zeigt wiederum, wie sehr er ein Beherrscher seiner selbst ist. Unser Korrespondent hat also recht. Wen aber wundert das, wenn er erfährt, das der Autor, den wir zitiert haben, Heinrich Heine ist, der seinen Bericht aus Paris am 25. Februar 1840 für die Augsburger Allgemeine Zeitung schrieb. Freilich sprach er nicht vom Präsidenten Franois Mitterrand, sondern vom damaligen Bürgerkönig Louis Philipp. Trotzdem könnten die Zeilen von heute sein. Heinrich Heine hat es schon gewußt: Franois Mitterrand ist der objektive König der Franzosen.

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