: In Inständig klaren Bildern
■ Über die Dichterin Rose Ausländer, die Anfang dieses Jahres im Jüdischen Altersheim in Düsseldorf starb
Von Rita Breit
Als in einer der ersten Nächte dieses Jahres die Lyrikerin Rose Ausländer, dem Prophetinnenalter nahe, starb, Dichterin in der Nachfolge der Else Lasker–Schüler und Nelly Sachs, hinterließ sie in inständig klaren Bildern ihr Erinnern. Sonnendurchglühte Prämisse darin die Kindheitsstadt am Pruth: Czernowitz, Provinzhauptstadt im ehemals österreichisch–ungarischen Kronland. Atmosphäre des schöpferischen Miteinanders rumänischer, ruthenischer, jiddischer und deutscher Sprachkultur. Keiner der beiden Spätgeborenen, Paul Celan und Edgar Hilsenrath, hat sie so unversehrt erleben dürfen. Als Rosalie Scherzer am 11. Mai 1901 geboren, erlebte sie aus den Wiegenliedern der Mutter „das Zion der Ahnen“ mit den Bergen und Buchenwäldern des Landes. „Der Jordan mündete damals in den Pruth“, und der Vater war als junger Chassid in der reich pulsierenden Stadtlebendigkeit liegengeblieben. Lyzeum, Literatur– und Philosophiestudium - der geradlinig geborgene Beamtentochterweg bricht, als 1918 die Donaumonarchie zerschlagen, die Bukowina rumänisch wird. Nach dem Tod des Vaters wandert Rosalie mit ihrem Studienfreund Ignaz Ausländer 1921 in die USA aus, verdient in Büro– und Bankjobs den Lebensunterhalt, heiratet 1923 und kehrt ein Jahr nach der Scheidung 1931 zur kranken Mutter nach Czernowitz zurück. Der erste Gedichtband, „Der Regenbogen“, wird 1939 gedruckt, geht im Krieg ebenso verloren wie die Aufsätze über Spinoza, Freud, Manuskripte und Tagebücher. Sie schreibt für die Zeitschrift Klingsor, für Czernowitzer Tageszeitungen. Mit der kranken Mutter versteckt sie sich die Nazibesetzung über in Ghettokellern, überlebt als eine der Wenigen. „Manche haben sich gerettet. Und manche überlebten.“ Die Worte haben sie an die Existenz gebunden. Die trägt sie zum zweiten Mal in die Bürojob–Tage mit Subwayrefrain, als sie ein USA–Visum erhält. Manhatten wieder. Chinatown. Harlem und Park Avenue. Menschen, die in den Bäuchen der Steinriesen heranwachsen. Exilgeschwister mit traurigen Mündern und Augen. Ein zermürbender Alltag. Noch das Lächeln am Abend zum Ritual entzaubert. Einige englische Gedichte, Übersetzungen Else Lasker–Schülers. Seit Mitte der fünfziger Jahre hat Rose Ausländer wieder in ihrer Muttersprache zu schreiben begonnen. Kein Willensakt, sondern „Geheimnis des Unterbewußtseins“. Paul Celan, den sie 1944 in Czernowitz getroffen hat und nun in Paris besucht, gibt durch seine Sprache und sein Placet für einige ihrer ersten Gedichte weiteren Impuls. Als Rose Ausländer ihre Rückkehr in den deutschen Sprachraum verwirklicht, besteht der wahre Ertrag dieser zwei Jahrzehnte in den USA in der endgültigen Form von 300 ihrer Gedichte und Kurztexte. Wäh rend des Jahres 1963/64 in Wien werden 93 Gedichte zum Band „Blinder Sommer“ zusammengestellt: über die Kindheit, das Ghetto, New York, erschienen in kleiner Auflage 1965. Eine weithin Unbekannte kehrt im selben Jahr nach Europa zurück, im Ruhestandsalter, sie wählt das Jüdische Altersheim in Düsseldorf zum Wohnsitz, das letzte Jahrezehnt vor ihrem Tod wird sie bettlägerig und pflegebedürftig sein. Wie aber die Wirklichkeit längst ein „unzuverlässiges Märchen“ geworden ist, die Dichterin zuhause in den „Menschenworten“, so daß ihr das Du überhand nimmt zur Anredbarkeit einer ganzen Welt in all ihren Elementen, erschafft sie sich die Augenblicke neu, Glanzaugenblicke in finsteren Jahren, die Zeit der Errettung neu, bis zurück zur Kindheit am Pruth. „Andere Zeichen setzen“ nennt Rose Ausländer das, was in der jüdischen Mystik Erlösung vom Schicksal ausmacht: über das dem Menschen Zumutbare hinaus wirksam werden. Rose Ausländers Heimkehr in die Muttersprache hat ihren Rang in der Gegenwartsdichtung begründet. Die Ehrungen (1965 Preis der Dichterinnentagung Meersburg, 1967 Droste–Preis, 1977 Gryphius–Preis, 1980 Roswitha–Gedenkmedaille) begleiten ihr Werk, das seit 1984 zur Gesamtausgabe herangereift ist. Die letzte der Prophetinnen nach Nelly Sachs und Marie–Luise Kaschnitz, wirkt Rose Ausländer an den Bildern des Erinnerns bis zu ihrem Tod. Rose Ausländer: Gesammelte Werke in sieben Bänden. Herausgegeben von Helmut Braun, erschienen bei S. Fischer, Frankfurt am Main Die Erde war ein atlasweißes Feld. Gedichte 1927–1955 Die Sichel mäht die Zeit zu Heu. Gedichte 1956–1965 Hügel aus Äther / unwiderruflich. Gedichte und Prosa 1966–1975 Im Aschenregen / die Spur deines Namens. Gedichte und Prosa 1976 Ich höre das Herz / des Oleanders. Gedichte 1977–1979 Wieder ein Tag aus Glut und Asche. Gedichte 1980–1982 Und preise die kühlende / Liebe der Luft. Gedichte seit 1983 Das Gesamtwerk wird mit einem Registerband abgeschlossen. Das Karussell Heute ist die Gasse ein Kinderkarussell kreist um den Vorfrühlingsriesen und die schreigesprengte Luft zeigt die Häuser wie sie aus dem Bad steigen nackt kreist um den Märzmann der derbe Worte wirft und flucht weil sein grüner Rock noch nicht fertig kreist und die Kinder lachen fahren den Himmel hinauf schleudern blaue Schreie in knusprigem Englisch kreist und die gerösteten Kastanien an der Straßenecke platzen im Becken Mütter und Gouvernanten im Gruppengesumm halten sich fest an die Schöße des Riesen und das Kinderkarussell kreist über sie schwindelfrei kreist voll blauem Geschrei um die windumwickelte Sonne
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