Vilemina, die Göttliche

■ Die italienische Philosophin Luisa Muraro rekonstruierte die Geschichte einer Mailänder Ketzergruppe als „feministische Häresie“/Ihre Recherche über „Vilemina und Mayfreda“ ist nicht nur ein spannender und aufregender Beitrag zur Kirchengeschichte: Muraro schrieb auch einen avancierten Beitrag zur feministischen Theorie des „Differenzdenkens“ und den Möglichkeiten von Frauenkultur

Zwei Frauen in Mailand am Ende des 13. Jahrhunderts: Die eine - Vilemina -kommt um das Jahr 1260 im Alter von 50 Jahren zusammen mit ihrem Sohn in die Stadt. Es heißt, sie sei die Tochter des böhmischen Königspaares Konstanze und Premysl. Weiter ist nichts über ihre Vergangenheit bekannt. Unbekannt sind auch die Gründe, die sie nach Mailand führten, wo sie ein ganz gewöhnliches Leben führt, aber unabhängig von familiären Bindungen. Noch zu ihren Lebenszeiten wird ihr nachgesagt, sie besäße „eine reale wundertätige Kraft, die in ihrer Fähigkeit zu heilen und zu trösten zum Ausdruck kommt“. Die andere - Mayfreda - eine junge Ordensfrau bei den Humiliaten, ist verwandt mit dem Geschlecht Visconti, das die Stadt regiert. Sie gehört dem Freundeskreis an, der sich um Vilemina versammelt hat, und nimmt darin eine herausragende und bestimmende Stellung ein. Diese Gemeinde, der auch Männer angehören, hat unter Führung Mayfredas über den Tod Vileminas hinaus Bestand. Die Gruppe verbindet die Vorstellung, „daß die Erneuerung der Gemeinschaft der Christen vom weiblichen Geschlecht kommen wird und mit Vilemina eingesetzt hat.“ Während in Vilemina auf Grund ihrer Wundertätigkeit die Inkarnation Gottes in einem weiblichen Körper gesehen wird, nimmt Mayfreda die Position ihrer „Stellvertreterin auf Erden“, der „Papessa“ ein. Nach mehreren, offensichtlich wirkungslosen Ermahnungen durch die Inquisition wird der Gruppe im Jahr 1300 endgültig der Prozeß gemacht. Zu diesem Zeitpunkt ist Vilemina bereits 19 Jahre tot, während ihre Anhängerinnen unter der Führung von Mayfreda unbeirrt ihrer leiblichen Auferstehung entgegen sehen. Das inquisitationsgericht verurteilt Mayfreda und Andreas Sarmata, einen der eifrigsten Jünger Vileminas, zum Tode auf dem Scheiterhaufen. Vilemina wird postum verurteilt, ihr Leichnam ausgegraben und verbrannt. Ketzerstadt Mailand Die Geschichte dieser beiden Frauen und ihrer Gemeinde hat die italienische Philosophin Luisa Muraro, Angehörige der Mailänder Gruppe um die „Liberia delle Donne“, rekonstruiert. (vgl. nebenstehendes Portrait) Ausgehend von den Prozeßakten zeichnet sie die Topographie einer häretischen Gruppe am Ende des 13.Jahrhunderts und scheut sich nicht, diese als feministisch zu bezeichnen. In der Interpretation Luisa Muraros ist der vilemitische Glaube deshalb eine feministische Häresie, weil in ihm Anspruch auf die Beteiligung der Frau am göttlichen Heilsplan erhoben wird. Die vilemitische Gemeinde verehrt in der Person Vilemina den im weiblichen Körper fleischgewordenen Gott. Die Arbeit Luisa Muraros ist ein Beispiel dafür, welche Ant worten selbst so tendenziöse Quellen wie Inquisitionsakten geben können, wenn sie sorgfältig und mit neuen Fragestellungen gelesen werden. Erfreulicherweise sind im zweiten Teil des Buches die wichtigsten Akten in der Originalsprache und der deutschen Übersetzung abgedruckt, sodaß sich die Leserin ein eigenes Bild von der Arbeitsweise der Autorin machen kann. Daß es Frauen wie Vilemina und Mayfreda gegeben hat, ist für das 13.Jahrhundert nicht so ungewöhnlich, wie es uns heute scheinen mag. Schon gar nicht für das als „Ketzerstadt“ verschrieene Mailand. Hier waren, wie überall in Europa, neue religiöse Gemeinschaften entstanden, die sich auf die Einhaltung der Ideen des Evangeliums beriefen, das Armutsgelöbnis ablegten und für die traditionellen, in ihren Regeln erstarrten Orden eine große Provokation darstellten. An dieser Entwicklung waren in großem Maße Frauen beteiligt, so daß manche Historiker von einer „religiösen Frauenbewegung“ (Herbert Grundmann) sprechen. Repräsentantinnen dieser Bewegung waren zum Beispiel in Italien Klara von Assisi, die Gefährtin des Franz von Assisi und für die Gegend nördlich der Alpen die Beginen. Die entsprechende Bewegung für die Lombardei war der Humiliatenorden, dem Mayfreda angehörte und aus dessen Mailänder Klöstern sich viele Anhänger Vileminas rekrutierten. Weibliche Dreifaltigkeit Kernstück der vilemitischen Lehre ist der Glaube, daß Vilemina „die Person des Heiligen Geistes, die dritte Person in der Dreifaltigkeit, wahrer Gott und wahrer Mensch weiblichen Geschlechts gewesen sei, wie Christus wahrer Gott und wahrer Mensch männlichen Geschlechts gewesen sei“. (Prozeßakten) Nun bräuchte die Zuordnung des Heiligen Geistes zum weiblichen Geschlecht keine Neuigkeit zu sein, ebensowenig der weibliche Anteil an der Dreifaltigkeit. Die älteste überlieferte Darstellung einer Dreifaltigkeit ist eine weibliche und reicht in das Jungpaläolithikum, ist also 10.000 bis 30.000 Jahre alt. Sie ist ein in Stein gehauenes Relief von drei Frauenkörpern mit einem einzigen Kopf, der zu allen drei Figuren gehört und wurde in einem Abri im Departement Vienne in Frankreich gefunden. (vgl. Marie König, Am Anfang der Kultur, 1973) Genau betrachtet spricht alles dafür, daß die Dreifaltigkeit ein weibliches Symbol war, das im Zusammenhang mit dem Mondkult gesehen werden muß. Ehe die Dreifaltigkeit zum Symbol des männlichen Gottes transformiert wurde, durchlief sie verschiedene Übergangsformen. Spuren davon sind noch heute zu finden. So ist zum Beispiel in einem Wandfresko in der romanischen Kirche von Urschalling am Chiemsee, das die Dreifaltigkeit darstellt, die mittlere Figur als Frau abgebildet: „...frauenähnlich der Heilige Geist“, wie der offizielle Kirchenführer schamhaft vermeldet. Während im Alten Testament der „Geist Gottes“ noch mit dem weiblichen hebräischen Wort ruach bezeichnet wird und Ausdruck für die „Wirkmächtigkeit“ Gottes ist (Karl Rahner, Herbert Vorgrimler), tritt der Heilige Geist des Neuen Testaments als „Person“ der Dreifaltigkeit in den Symbolen der Taube, des (brausenden) Sturms oder der Feuerzungen geschlechtsneutral in Erscheinung oder aber, wie in der oströmischen Kirche, als die Weisheit - sophia (siehe auch Hagia Sophia). Insofern der Heilige Geist in den christlichen Hymnen als erneuernde Kraft gepriesen wird, erinnert dies wiederum an die weibliche Reproduktionskraft und Gebärfähigkeit. So heißt es in einem Antiphon „Zum Heiligen Geist“ der Hildegard von Bingen, geschrieben ca. 100 Jahre vor Vilemina: „Der Heilige Geist ist lebensspendendes Leben, Beweger des Alls und Wurzel allen geschaffenen Seins, er reinigt das All von Unlauterkeit, er tilget die Schuld und er salbet die Wunden, so ist er leuchtendes Leben, würdig des Lobes, auferweckend und wiedererweckend das All.“ Eben diese, dem Heiligen Geist zugeschriebenen wohltuenden und belebenden Kräfte erkennen all diejenigen in Vilamina wieder, die sich bis über den Tod hinaus als Gemeinde um sie versammeln. Vilemina ist für sie gleichsam die Inkarnation dieser Kräfte. Die zentrale Gestalt der vilemitischen Gemeinde war Mayfreda. Obwohl das Verhältnis der beiden Frauen nicht so eng gewesen zu sein scheint, wurde die wesentlich jüngere Mayfreda die unumstrittene „Nachfolgerin“ Vileminas, „die nach ihr kam und ihren Platz einnahm“. Als unangefochtenes „geistliches Oberhaupt der an Vileminas Göttlichkeit glaubenden Vilemiten“ predigte und unterrichtete sie und spendete die Sakramente. Die Gläubigen der Gemeinde begegneten ihr mit dem gleichen Respekt und der Ehre, wie sie dem Papst zuteil wurde, zum Beispiel mit dem Handkuß und dem Fußkuß. Mayfreda füllte ihre führende Stellung bis zum Schluß aus und hielt sie auch während des Prozesses aufrecht. In der Hoffnung, die Gemeinde retten zu können, hatte sie Anweisung gegeben, vor dem Inquisitionsgericht die vilemitischen Glaubensinhalte nicht preiszugeben. Erst der Einsatz der Folter machte diese Prozeßstrategie zunichte. Grenzüberschreitung Lange Zeit hatten die Zwänge, die die klandestine Existenz der Gruppe auferlegte, dazu beigetragen, daß die Inhalte der vilemitischen Lehre hinter dem Schleier umschreibender und schöner Worte verborgen blieben.Mit dem vornehmen Geist ließ sich nur zu gut das Dogma von Gott im weiblichen Körper tarnen. Zur Verehrung Vileminas, die nicht heilig gesprochen war, wurden auch sogenannte Deckheilige benutzt, z.B. die Hl. Margareta und die Hl. Katharina von Alexandrien. Interessanterweise sind es die gleichen Heiligen, die mehr als 100 Jahre später mit Jeanne dArc vor dem Inquisitionsgericht stehen werden. Mit Hilfe eines ausgeklügelten Systems von Allegorien und Analogien gelang es der Gemeinde, etwa 20 Jahre zu überleben. Und nur in Verschleierung der eigentlichen Ziele, scheint die Lehre für männliche Mitglieder annehmbar gewesen zu sein. In dem Maße aber, wie die wahren Inhalte unverbrämt ausgesprochen wurden und zutage traten, spitzten sich die Konflikte zwischen der Gemeinde und der kirchlichen Obrigkeit aber auch zwischen Frauen und Männern innerhalb der Gemeinde zu. Der Gegensatz eskalierte schließlich in dem Prozeß von 1300, der auch das Ende der vilemitischen Lehre bedeutete. Vor allem der Anspruch May fredas auf den päpstlichen Stuhl, überschritt die Grenze, die Frauen gesetzt ist. Auch Klara von Assisi wurde nachgesagt, sie habe Hostien gesegnet und verteilt, ohne daß sie deswegen allzu große Schwierigkeiten bekommen hätte. Es war der Anspruch der Frauen auf die allein den Männern vorbehaltenen Machtpositionen, der die vilemitische Gemeinde vor das Inquisitionsgericht gebracht hatte. Mit detektivischer Akribie entwickelt Luisa Muraro den Ablauf der historischen Handlung und steuert auf den Höhepunkt ihrer Analyse zu: dem Ende der analogischen und allegorischen Andeutungen, „die Vileminas Geschlecht zugedeckt und die Vile miten zusammengehalten hatten“. Das Gastmahl In dem Streit bei einem Gastmahl, der sich bereits im Jahre 1293 zugetragen hatte, sieht Luisa Muraro das Schlüsselereignis bei dem die Bedrohlichkeit der vilemitischen Glaubenslehre zu Tage tritt. An dem Gastmahl nahmen nur männliche Gemeindemitglieder teil. Zu dieser Männergesellschaft kommt Mayfreda mit einer Gruppe von Frauen, um lapidar zu verkünden, was eh schon alle wissen, nämlich, daß Vilemina der Heilige Geist sei. Nach dem höflichen Austausch einiger Artigkeiten zu diesem Thema, greift Adelina Crimella, deren Ehemann unter den Gästen ist, in das Gespräch ein. Sie verläßt die vornehme und distanzierte Ebene und macht eine deutliche Aussage: „Ich glaube, daß Vilemina vom selben Fleisch ist, das von der heiligen Jungfrau Maria geboren wurde, und daß sie in Christo gekreuzigt wurde.“ Diese Wendung des Gesprächs zur körperlich–geschlechtlichen Ebene löst bei ihrem Ehemann Stefano Crimella heftigsten Protest aus. Er wird von der Gruppe aus dem Raum gewiesen. Den Vorfall scheint er bald vergessen zu haben, denn er gehörte weiter der Gemeinde an. Sieben Jahre später kommt diser Vorfall vor dem Inquisitionsgericht zur Sprache. Zu diesem Zeitpunkt sind die Todesurteile bereits ausgesprochen und ist die Gefahr der Denunziation entfallen. Jedes Versteckspiel hatte seinen Sinn verloren. Warum gaben die Inquisitoren dem Vorfall, der so viele Jahre zurücklag, so großes Gewicht? Sie schienen doch ihr Ziel, die Verurteilungen der „Anführer“, bereits erreicht zu haben. Luisa Muraro sieht den Grund darin, daß dem Stefano Crimella und allen anderen Männern, deren Machtbewußtsein offensichtlich nicht so stark ausgeprägt war, auf die Sprünge geholfen werden soll. Behutsam stellt der Inquisitor seine Fragen. Stefano Crimella soll begreifen, daß er als Mann keine Frau anbeten kann. Die alleinige Autorität hat dem männlichen Gott zu gehören, dem männlichen Klerus; und als Ehemann hat „er gemäß der hierarchischen Ordnung dieser Welt für seine Frau das sinnlich wahrnehmbare Abbild Gottes zu sein.“ Aktualität Jetzt wird auch verständlich, warum sich Luisa Muraro mit der Analyse dieser Prozesses so große Mühe gemacht hat. Offensichtlich gibt es Berührungspunkte zwischen der vilemitischen Lehre und dem Mailänder Manifest von 1983 (“Piu donne che uomini“ - „Mehr Frauen als Männer“). (vgl. nebenstehendes Portrait). Eine der zentralen Aussagen des Manifests ist, daß die Lust der Frauen auf gesellschaftliche Betätigung in der von Männern bestimmten Gesellschaft keine Befriedigung finden kann. Eine innere Blockade wird zum unüberwindlichen Hindernis. Sie kann darauf zurückgeführt werden, daß Frauen sich in ihrem Frauenkörper–Sein in einer Welt fremd fühlen, die vom Männerkörper–Sein bestimmt wird. Zur Herausbildung dieses Zustandes hat das Christentum insofern beigetragen, als es die Menschwerdung Gottes ausschließlich in einem Männerkörper propagiert. Die Fleischwerdung Gottes im menschlichen Frauenkörper, das war es, was Vilemina und Mayfreda lehrten - den göttlichen Frauenkörper. Und noch ein weiterer Punkt erinnert an das Manifest. In der Beziehung zwischen Vilema und Mayfreda kann das Vorbild für die Beziehung der affidamento , (“Anvertrauen“) gesehen werden, einem zentralen Begriff der Mailänder Gruppe. Gemeint ist damit die Anerkennung der Unterschiedlichkeit von Frauen. Das „affidamento“ beschreibt ein Vertrauensverhältnis, nicht frei von Hierarchie, das aber seine Wertigkeit ausschließlich durch Frauen erhält. Weniger vergleichbar mit dem Mutter–Tochter–Verhältnis als viel eher mit dem Verhältnis von Lehrerin und Schülerin, das ein erotisches sein kann, etwa von der Art wie zwischen Sappho und ihren Gefährtinnen. Dennoch ist ein auf hierarischen Strukturen gegründetes Vertrauensverhältnis zumindest für Frauen aus einem Land, in dem autoritäre Strukturen das Alltagsleben bestimmen, schwierig zu denken. Luisa Muraros Buch ist nicht nur spannend zu lesen, es könnte auch der Frauengeschichtsforschung neue Impulse geben. Die vilemitische Häresie als Bedrohung für den männlichen Alleinverkörperungsanspruch !. Nicht auszudenken wären die Folgen, wenn Vileminas Lehre in der Beginenbewegung hätte Fuß fassen können. Und selbst an eine geschlechtsspezifische Glaubensspaltung läßt Luisa Muraro denken. Vielleicht wurde aber der Massenmord an den Frauen in der sogenannten Hexenverfolgung gerade aus dem Grund in die Wege geleitet, um diese Gefahren aus der Welt zu schaffen - um die Reste weiblicher Präsenz im Christentum zu vernichten. Für Luisa Muraro selbst liegt der Wert ihrer Arbeit über Vilemina und Mayfreda darin, das Zeichen zu erkennen, „das die weibliche Kraft ihrer Menschlichkeit hinterlassen hat. Der Versuch, diese Zeichen zu lesen, war mir am ehesten zugänglich und ist zugleich auch das, was ich für mein Geschlecht für das Wichtigste halte: Zeichen zu finden, um sich zum Ausdruck zu bringen.“ (1) Alle Zitate sind - soweit nicht anders angegeben - aus Luisa Muraro: „Vilemina und Mayfreda“. Luisa Muraro: Vilemina und Mayfreda. Die Geschichte einer feministischen Häresie. Aus dem Italienischen übersetzt von Martina Kempter. Kore Verlag, Freiburg, 345 S., 39,80 Mark