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Viele Strategien für den Krankenkassen–Betrug

■ Das AOK–Abrechnungssystem erleichtert die Leistungserschleichung / Auch die geplante Gesundheitsreform verhindert den Mißbrauch von Krankenkassen nicht völlig

Von Dieter Dender

„Ich bestätige mit meiner Unterschrift, daß ich Mitglied der AOK Hannover bin“, las der 31jährige Klaus Schäfer Name geändert, d.Red. stirnrunzelnd auf seinem Krankenschein. Dann unterschrieb er und überreichte das Papier einer Arzthelferin - schlechten Gewissens, denn Mitglied der AOK war Schäfer keineswegs. Mit der Unterzeichnung des Krankenscheins hatte sich der junge Mann des Betrugs und der Erschleichung von Leistungen strafbar gemacht. Trotzdem blieb dies gesetzwidrige Verhalten für Klaus Schäfer ohne negative Folgen. Im Gegenteil: Der arbeitslose, nichtversicherte Elektroinstallateur wurde von seinem behandelnden Arzt erfolgreich kuriert und konnte anschließend wieder seiner gutbezahlten Schwarzarbeit nachgehen. Daß Schäfers Vorgehen nicht geahndet werden konnte, hat seine Ursache im recht komplizierten Abrechungssystem der Ortskrankenkassen, welches die Kassen selber nur unzureichend kontrollieren können. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung gelangt ein von Patient und Arzt ausgefüllter Krankenschein nämlich nicht in die Hände des zuständigen AOK– Sachbearbeiters, der diesen auf seine Gültigkeit hin kontrolliert: Er landet vielmehr am Ende des jeweiligen Quartals bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV), die sämtliche Krankenscheine sammelt, die ihr von den angeschlossenen Ärzten in diesem Zeitraum eingereicht wurden. Anhand dieser Unterlagen stellt die KV der Ortskrankenkasse anschließend einen Pau schalbetrag für die von den Ärzten erbrachten Leistungen in Rechnung. Die AOK überweist das geforderte Geld darauf an die KV, diese wiederum leitet es an ihre weißbekittelten Mitglieder weiter. Als Quittung für die angewiesene Summe erhält die AOK von der KV ein dickes Bündel bearbeiteter Krankenscheine, darunter natürlich auch den des Betrügers Klaus Schäfer. Leider macht akuter Personalmangel es der Krankenkasse jedoch unmöglich, die einzelnen Krankenscheine mit ihrer Mitgliederkarte abzugleichen. Auffällig werden solche Betrügereien somit nur dann, wenn sich eine AOK alle Jubeljahre entschließt, aufwendige Kontrollen vorzunehmen. Im Regelfall kommt es, wenn überhaupt, zu Stichproben. Und dabei gehen Unstimmigkeiten wie der Fall Klaus Schäfer im allgemeinen Wirrwarr zumeist unter. Um diesen Mißbrauch wenigstens einzudämmen, sind manche Ortskrankenkassen dazu übergegangen, auf ihren Kassenvordrucken Jahres– oder Quartalszahlen anzugeben, während derer der Schein allein gültig ist. Die AOK Hannover, zuständige Kasse des Schwarzarbeiters Klaus Schäfer, macht dies nicht, wohl wissend, daß sich Ärzte und die Kassenärztliche Vereinigung allgemein wenig um diese Vorgaben scheren: Bekanntermaßen wird der Krankenschein in der Masse untergehen. Im übrigen kann ein falsch datierter Schein ja auch aus Versehen eingereicht worden sein. Um sich langfristig abzusichern, hatte der nicht nur zum Betrug, sondern auch zu dessen Verschleierung entschlossene Schä fer kurz vor dem absehbaren Ende seiner regulären Versicherungszeit den Verlust seines Krankenscheinscheckheftes gemeldet und von der Kasse ein neues erhalten. Mit diesem leicht erworbenen Vorrat an Scheinen glaubt er ein paar Jahre auszukommen. Es sind nicht nur Mitmenschen wie Klaus Schäfer, die sich das komplizierte Abrechnungssystem der Kassen für ihre eigennützigen Zwecke zunutze machen, wenn sie es einmal durchschaut haben. Auch scheinbar ehrenwerte, gesetzlich versicherte Kassenmitglieder machen von diesen Unzulänglichkeiten rücksichtslos Gebrauch, indem sie - entgegen den Bestimmungen - mehrere Krankenscheine pro Quartal unter der Ärzteschaft verteilen; sei es, weil der behandelnde Arzt nicht länger bestimmte Medikamente verschreiben will, weil er eine Überweisung oder eine geforderte Therapie verweigert. Genasweist sind dabei allerdings jene Versicherten, die sich in ein und demselben Quartal von verschiedenen Ärzten krank schreiben lassen. Das fällt auf, da eine Durchschrift des gelben Scheines bekanntlich auf diektem Weg in die Hände der Kassen und somit in die Mitgliederkartei gelangt. Wahrscheinlich zähneknirschend haben die AOK–Verantwortlichen dieses Treiben von ehemaligen und gesetzlichen Kassenmitgliedern jahrezehntelang hinnehmen müssen. Mit der anstehenden Reform des Gesundheitswesens zum 1. Januar nächsten Jahres soll diesem Unwesen nun endlich ein Riegel vorgeschoben werden: Ab dann nämlich wird, gehen die Pläne des Gesundheitsministeriums auf, eine direkte elektronische Datenverbindung zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Kassen hergestellt. Und damit sind die Ortskrankenkassen endlich in der Lage, „leistungsbezogene Versicherungskonten“ zu führen, in denen akribisch festgehalten wird, welche Ärzte der Versicherte im jeweiligen Quartal aufgesucht hat, wieviel Kosten der Kasse dadurch entstanden sind und, vor allem, ob auch entsprechende Beiträge gezahlt wurden. Versierte Betrüger wie der Schwarzarbeiter Klaus Schäfer werden dem vermutlich durch eine geänderte Taktik entgegensteuern: Sie werden sich hinfort einfach auf den Krankenschein eines Bekannten behandeln lassen. Damit der eigentliche Scheininhaber im Bedarfsfall auch zum Doktor gehen kann, wenn ihm danach zumute ist, muß Klaus Schäfer allerdings künftig die Reise in eine fremde Stadt antreten und sich dort behandeln lassen. Der ferne Arzt läßt sich dann vom Hausarzt des Krankenscheininhabers eine Überweisung ausstellen. Da mit der Überweisung kein Polaroidfoto des Versicherten übersandt wird, bleibt das gesetzwidrige Vorgehen unentdeckt. Ärger könnte es für Klaus Schäfer schon heute geben, wenn er wegen eines Unfalls oder einer anstehenden Operation ein Krankenhaus aufsuchen muß. Solche Leistungen werden wegen ihrer relativ geringen Zahl schon heute von den Kassen gesondert aufgeführt. Dann bliebe Klaus Schäfer auch heute nichts anderes übrig, als sich rasch und teuer freiwillig bei der AOK zu versichern. Nicht greifbar bleibt auch zukünftig eine unbekannte Zahl von besonders ausgekochten BetrügerInnen. Sie melden sich nach einer gewissen Versicherungszeit arbeitslos und aus dem Sozialwesen ab. Der monatliche Versicherungsbeitrag für einkommenslose Kassenmitglieder schwappt selten über die Schwelle von siebzig Mark. Nur durch Denunziation bekanntgeworden sind Fälle von munter sogar im Ausland schwarzarbeitenden Spitzenverdienern, die ihre Kassenbeiträge auf diese Weise unkorrekt niedrig hielten. Der Nachweis auch solcher Betrügereien fällt den Kassen schwer. Die Techniker–Krankenkasse beschied einen Denunzianten vor Jahren schon mit der Antwort, man wolle dem Hinweis nicht weiter nachgehen, da die Überführung des Betrügers voraussichtlich höhere Kosten verursache, als die einforderbare Nachzahlung erbringe.

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