I N T E R V I E W Wenn die Tiefflieger der Teufel reitet

■ Ehemaliger Pilot der „Phantom“ berichtet über Faszination der Tiefflüge und die steigende Unzufriedenheit der Piloten

taz: Ist den Tiefflug–Piloten klar, daß sie um Sekundenbruchteile immer an einer tödlichen Katastrophe vorbeifliegen? XXX:Ja, darüber sind sich alle bewußt. Die leben ständig mit dem Tod, mit dem Gedanken, daß es passieren kann. Und jeder versucht auch, sich in einer sicheren Lage zu bewegen. Und trotzdem weiß jeder, daß er die Risiken nicht ausschließen kann. Hat dieses Risiko auch eine Faszination? Ja, es gibt diese Faszination in der Militärfliegerei. Wenn man sich für diesen Beruf entscheidet, ist das sicher die Faszination der Herausforderung und die Faszination der Technik dazu. Außerdem hat dieser Beruf ein hohes Image und Prestige. Das ist für die Leute sehr befriedigend. Leute, die in Tieffluggebieten leben , haben das Gefühl, daß die Piloten direkt auf sie zuhalten, weil sie sich einen Spaß draus machen. Ich kann nicht ausschließen, daß es so etwas gibt. Aber das ist sicher nicht die Regel. Die Piloten sind nicht die wilden Säue, die über die Bundesrepublik bürsten. Sicher gibt es auch schwarze Schafe, Leute, die der Teufel reitet. Ich hab früher auch Fehler gemacht und bin Risiken eingegangen, die ich nicht hätte eingehen dürfen. Aber man darf in der Öffentlichkeit nicht vergessen, daß die Piloten in der Regel das tun, was von ihnen verlangt wird. Nur wenn es dann kracht, wälzt das Verteidigungsministerium die Verantwortung ab. Das ist die große Sauerei Werden die Leute besonders ausgewählt nach ihrer Konzentrationsfähigkeit und psychischen Belastbarkeit? Ja, es gibt ein besonderes Auswahlverfahren zunächst von der medizinischen Seite. Da muß man entsprechende Fitneß mitbringen, eine gute Wirbelsäule haben usw. Dann kommen mehrere Psychologen, die einen mehrere Tage lang durch die Mangel drehen. Dann wird die Mehrfachbelastbarkeit geprüft. Da wird geguckt, ob man unter hoher Belastung in Panik gerät oder Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden kann und im Sekundenrhythmus die richtige Reihenfolge von Entscheidungen trifft. Und trotzdem werden immer noch eine ganze Reihe von Leuten hinterher abgelöst, weil sich in der Praxis herausstellt, daß sie überfordert sind. Wie lange hält man solche extremen Belastungen aus? Mit den entsprechenden Ruhepausen schafft man das bis 30, 35. Einige ganz wenige fliegen länger. Die meisten sind mit 38, 40 am Ende. Du kommst nach eineinhalb Stunden Tiefflug völlig durchgeschwitzt und kaputt aus der Maschine, physisch und psychisch. Als ich noch geflogen bin, da waren 250 Flugstunden im Jahr die Regel. Das ist theoretisch ein Flug pro Arbeitstag, aber wenn an einem Tag das Wetter schlecht ist, fliegst du am nächsten Tag drei. Da kommst du auf dem Zahnfleisch nach Hause. Das geht an die Grenze des Erlaubten. Sind denn solche Tief– und Tiefstflüge unter den Piloten beliebt? Ja, sie sind beliebt, weil sie eine hohe Herausforderung sind und weil man die Leute so erzogen hat, daß sie die Herausforderung annehmen. Die gehen bis an die Grenze der Belastbarkeit, um noch ein gutes Ergebnis, ein Foto nach Hause zu bringen. Und die Belastung wird immer größer, mit jedem neuen Flugzeugtyp. Es gibt in England stationierte amerikanische F111–Maschinen. Da macht der Computer alles, und die Crew muß sich darauf verlassen, daß technisch alles harmoniert. Die haben reihenweise Ablösungswünsche und brauchen teilweise für jede Staffel einen Psychologen. Auch bei uns ist die Grenze der Belastbarkeit jetzt erreicht. Es gärt unter den Piloten. Mittlerweile haben sich fast in jedem Geschwader zivilrechtliche Vereinigungen gebildet, die gegen ihren Dienstherrn, den Verteidigungsminister, klagen, weil sie sich von ihm im Stich gelassen fühlen. Die klagen ihr Recht auf höhere Fliegerzulage ein. Die Piloten werden mit 41 in Pernsion geschickt, weil sie kaputt sind, und bekommen dann nur noch 55 Prozent ihrer Bezüge. Die müssen dann eine Zusatzausbildung machen, weil die außer Fliegen nichts können. Viele sind dann arbeitslos oder enden als Lagerarbeiter. Das ist eine total unsoziale Laufbahn, und mittlerweile ist die Unzufriedenheit unter den Piloten enorm groß. Zahlt sich das Risiko in Form einer Prämie oder Beförderung aus? Du mußt dir vor Augen halten, daß solche extremen Experimente und Erfahrungen für den potentiellen Ernstfall, den Kriegsfall, auch eine Lebensversicherung für die Piloten sind. Selbstverständlich sind die Radarsysteme inzwischen so gut, daß man auch im Tiefstflug erfaßt werden kann. Aber alle hundert Fuß, die ich höher gehe, werde ich früher erfaßt. Wenn ich im Ernstfall in Feindesland fliegen müßte, würde ich auch so tief wie möglich gehen. Aber für mich stellt sich die Frage, ob das im Raketenzeitalter und bei den Aufklärungssystemen im Weltall überhaupt noch einen Sinn macht. Ich halte diese Flüge für totalen Schwachsinn. Das Interview führte Vera Gaserow