Mit Test–Manie gegen Aids

■ „Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin“ fordert Aids–Tests vor Eheschließungen, bei allen Krankenhauspatienten und in höheren Schulklassen

Aus Berlin Andreas Salmen

Eine „möglichst lückenlose Ermittlung“ aller Virusträger fordert die „Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin“ in einem Strategiepapier zur Immunschwäche Aids. Als „Weg hierzu“ wird die „möglichst breite Untersuchung der Bevölkerung“ verlangt: „Testen, testen, testen!“ Jeder Arzt müsse berechtigt sein, jeden Patienten bei Verdacht testen zu lassen. Das Papier, das nächste Woche auf dem Jahreskongreß der Gesellschaft vorgestellt wird, ist ein Plädoyer für eine verstärkte Bekämpfung von Aids, wobei der „Suche nach Infizierten“ durch den Ausbau der HIV–Antikörper– Testung eine zentrale Rolle zugeschrieben wird. Der Test solle „selbstverständlich“ bei allen Krankenhauspatienten, in der Schwangerenbetreuung und in allen Haftanstalten vorgenommen werden. Für empfehlenswert hält die Expertenkommission unter Vorsitz des Münchner Professors Zöllner (von der CSU benanntes Mitglied der Bundestagsenquete zu Aids) den Test bei Jugendschutzuntersuchungen, vor jeder Eheschlie ßung oder Partnerbindung, in allen höheren Schulklassen sowie „anderen größeren sozialen Gemeinschaften“. Schließlich müsse auch erlaubt sein, den Test von Einreisenden aus Ländern mit hoher Infektionsrate zu verlangen. Die Gesellschaft schlägt weiterhin die Aufnahme der HIV–Infektion in das Bundesseuchengesetz vor und fordert eine Registrierpflicht für HIV–Positive. Wichtig sei die Verfolgung von Infektionswegen der Krankheit Aids: „Da die Aids–Epedemie bereits weit fortgeschritten ist und sich weiter ausbreitet, sind wirksame Maßnahmen dringend. Die wichtigste ist, die Suche nach möglichst allen Infizierten, denn dieser Personenkreis verbreitet (...) die Krankheit.“ Weiterhin brauche man in der Bundesrepublik eine repräsentative Stichprobenuntersuchung der Bevölkerung auf den HIV–Virus. Die Stichprobe könne über die Einwohnermeldeämter ermittelt werden, oder man könne Blutproben, die für andere Zwecke in den Laboratorien eingingen, zunächst auch ohne Wissen oder Zustimmung der Betroffenen untersuchen. Die Gesellschaft begründet ihren Appell damit, daß sich Aids in die heterosexuelle Bevölkerung bereits ausgebreitet habe und für diese eine reelle Bedrohung darstelle. Laut Prof. Zöllner ist es Ziel des Papiers, die eigenen Kollegen anzuhalten, sich gründlich mit der Aids–Problematik auseinanderzusetzen. „Mit dem Test hat man einen Papiertiger aufgebaut. Ich sehe keinen Nachteil.“ Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 „Ein Infizierter , der von seiner Infektion weiß, wird sich viel verantwortlicher verhalten.“ Verfasser des Papiers sind neben Zöllner die Professoren Stille, Helm, Braun–Falco und Bock. Die Frankfurter Professorin Helm, Leiterin der Aids–Klinik der Uni Frankfurt, fordert Tests auch im Hinblick auf die notwendige medizinische Bereuung von HIV–Infizierten, für die zum Beispiel Lebendimpfungen ein erhebliches Gesundheitsrisiko trügen. So zeige sich zunehmend, daß das Aids–Medikament AZT Chancen auch bei der Behandlung noch nicht manifest Erkrankter böte. Aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen des Medikaments sei jedoch eine lange medizinische Beobachtung zur Einstellung des Patienten auf AZT sinnvoll. Jedoch könnten Tests nach Meinung von Frau Prof. Helm nicht zwangsweise durchgeführt werden. Prof. Meinrad Koch, Leiter des Aids Zentrums des Bundesgesundheitsamtes, kritisierte den Vorschlag eines Infiziertenregisters durch das Professoren– Team. Er glaube nicht, daß die Situation epidemiologisch so dramatisch sei, wie in dem Papier beschrieben. „Die uns vorliegenden Daten belegen allenfalls ein Einsickern in die heterosexuelle Bevölkerung.“ Von einer „Ausbreitung“ könne nicht die Rede sein. Eberhard Zastrau von der Deutschen Aids–Hilfe nannte das Papier nicht geeignet, einen Beitrag zur Prävention zu leisten. „Hier wird eine unmögliche Testmanie deutlich. Gekoppelt mit den Vorgängen um die AEG (taz 31.3) ist dies ein Beitrag zur Schaffung des Aids–Staates.“ Die Aids–Hilfe lehnt auch eine Behandlung von Positiven mit relativ geringer Symptomatik durch AZT ab. „Hier handelt es sich bisher nur um Behandlungsversuche, die wegen der Nebenwirkungen mit Vorsicht zu betrachten sind.“