piwik no script img

Wenig Hoffnung auf schnelles START–Abkommen

■ Reagan wie Gorbatschow äußern sich vor dem Gipfeltreffen skeptisch / Fortschritte beim Shultz–Besuch in Moskau lediglich in der Lösung der Regionalkonflikte / Gerüchte um Entmachtung des Gorbatschow–Kontrahenten Ligatschow

Berlin (rtr/taz) - „Glauben Sie nicht, daß wir auf der Stelle treten?“ fragte gestern Gorbatschow vor seiner Unterredung mit Shultz im Katherinensaal des Kreml. Er erhielt nur eine ausweichende Antwort. US–Präsident Reagan hatte am Donnerstag abend erklärt, es sehe nicht so aus, als ob das START– Abkommen über die Halbierung der strategischen Atomwaffenarsenale beim Gipfel am 29.Mai bis 2.Juni fertig sein würde. Nach einer Rede in Springfield im US– Staat Massachussetts sagte er auf Fragen weiter: „Wir wollen keinen schnellen Vertrag, wir wollen einen guten.“ Die Haupthindernisse liegen bei den Obergrenzen für see– und luftgestützte Marschflugkörper, beim Verbot mobiler landgestützter Raketen sowie in der Überprüfbarkeit des Vertrags. Wichtigster Streitpunkt aber bleibt das SDI–Programm. Nähergekommen waren sich Shultz und sein sowjetischer Kollege Schewardnadse lediglich bei der Lösung regionaler Konflikte in der Welt. Ein Sprecher des sowjetischen Außenministeriums un terstrich den Modellcharakter der Lösung des Afghanistan–Konflikts. Nach Einschätzung der Regierungszeitung Iswestija könnte der Nahe Osten bei gutem Willen aller Beteiligten der „nächste Spannungspunkt“ sein, der zur Ruhe kommt. Angeblich seit drei Wochen ist Parteivize Jegor Ligatschow, der Zweite Mann der Sowjetunion, nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden. Der nach Angaben sowjetischer Sprecher auf einem „Erholungsurlaub“ weilende ZK–Sekretär soll nach Berichten der spanischen Zeitung El Pais eine Reihe von Kompetenzen verloren haben. Nach den Auseinandersetzungen um einen Anti–Perestroika–Leserbrief in der Sowjetskaja Rossia soll Ligatschow, möglicher Hintermann dieser Veröffentlichung, nun teilweise entmachtet worden sein. Kernpunkt der Auseinandersetzung sei die Auswahl der Delegierten für die Parteikonferenz am 28.Juni, auf der es nach dem Willen Gorbatschows nun um eine umfassende Parteireform und ein neues Zentralkomitee gehen soll. Bisher hatte Ligatschow bei den Vorbereitungen für die Wahlen das letzte Wort. Nach den Informationen von El Pais sollen nach einer Sondersitzung des Politbüros der Reformer Alexander Jakowlew und der Vertraute Gorbatschows Gueorgui Razumowsli Kompetenzen von Ligatschow im Bereich der Ideologie und der Kaderpolitik übernommen haben. Dagegen dementierte ein Sprecher des Außenministeriums jegliche „Neuverteilung von Aufgaben“ in der sowjetischen Führung. Ligatschow sei in Urlaub gefahren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen