Die Stahlbosse und das Meinungskartell

■ WAZ–Redaktion hatte Tonband von abgehörtem Gespräch schon seit Monaten

Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Der Kampf um Rheinhausen hat sich in den letzten Monaten auch zu einem Kampf um die bundesdeutschen Zeitungsredaktionen entwickelt. Mit allen Mitteln haben dabei der Krupp–Vorstand und Politiker versucht, ihre Interessen publizistisch durchzudrücken - mit nachhaltigem Erfolg. Eine wesentliche Rolle spielte dabei die mit 700.000 Auflagen größte Zeitung des Ruhrgebietes, die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ). Schon kurz nachdem das (von der taz am 9. 4. dokumentierte) Gespräch zwischen den beiden Stahlbossen Gerhard Cromme und Heinz Kriwet abgehört worden war, erreichte das Tonband die WAZ. Wie die taz zuverlässig aus Kreisen des Düsseldorfer Wirtschaftsministeriums erfuhr, konfrontierte die WAZ den Düsseldorfer Wirtschaftsminister Jochimsen noch im Januar mit dem Inhalt des abgehörten Gespräches. WAZ–Chefredakteur Siegfried Maruhn bestätigte inzwischen gegenüber der taz, daß „uns das Band vor Wochen angeboten worden ist“. Von dem Gespräch mit Jochimsen wisse er aber nichts. Laut Maruhn hat die WAZ über das Tonband nicht berichtet, weil es zum Prinzip der Zeitung gehöre, kein illegal beschafftes Material zu verwenden. Dieses ehrenwerte Motiv darf man getrost bezweifeln. Sicher ist: Die WAZ, die anfangs mit eigenem Emblem - „Brennpunkt Rheinhausen“ - nahezu täglich in großer Aufmachung über Rheinhausen berichtete und für Solidarität mit den Stahlkochern warb, vollzog spätestens seit den Montankonferenzen im Februar einen radikalen Schwenk. Von nun an lasen sich die Kommentare so, als hätte Krupp–Chef Cromme sie selbst geschrieben. Ein Redak tionsbesuch des Krupp–Vorstandschefs, über den das Blatt nie schrieb, mag dazu ebenso beigetragen haben wie der permanente telefonische Kontakt zwischen Cromme und der WAZ–Redaktion. Cromme, der große Kommunikator, telefonierte persönlich nicht nur den WAZ–Journalisten, sondern auch den Korrespondenten der großen überregionalen Blätter hinterher. Zuletzt am Freitag, dem 8. 4., nachdem die Verhandlungen mit dem Betriebsrat gescheitert waren. Dabei ließ der Krupp–Vorstand keine Mittel aus. So verbreitete Krupp am Montag, dem 11. 4., erneut die dreiseitige Pressemitteilung vom Freitag, dem 8. .4 - nur das Datum war geändert - in der Hoffnung, dem an diesem Tag wellenschlagenden taz–Bericht etwas entgegensetzen zu können. Einige Zeitungen, wie die NRZ, fielen prompt darauf rein und berichteten von einem erneuten Gespräch zwischen Betriebsrat und Krupp–Vorstand, das aber nie stattgefunden hatte. Am 11.4., zwei Tage nach der taz–Veröffentlichung, wartete die WAZ mit einer kleinen Sensation auf, die eine politische Entlastung erster Klasse für Johannes Rau versprach. Die Zeitung zitierte aus einem „offiziellen Protokoll“, das bei der Landesregierung über das Treffen mit dem Krupp–Vorstand vom 7. 1. existiere. In dem Protokoll halte Rau dem Krupp–Chef Cromme, so schrieb die WAZ, folgendes vor: „Sollten Sie sich einbilden, daß Sie jemals politische Unterstützung bekämen für ihre Stillegungspläne, dann irren Sie sich gewaltig.“ Diese „Entlastung“ entpuppte sich noch am Tage der Veröffentlichung als komplette Falschmeldung. Daß ein solches Protokoll der WAZ nicht vorliegt, ja überhaupt nicht existiert, haben die WAZ–Leser bis heute nicht erfahren. Selbst das offizielle Regierungsdementi verschwieg die WAZ–Redaktion. Doch der Krupp–Vorstand beeiflußte nicht nur regionale Zeitungen. Schon in einem frühen Stadium lud Krupp–Chef Cromme auch Wirtschaftsjournalisten und einige Korrespondenten der großen überregionalen Blätter zu einem Hintergundgespräch ein, um die Vorstandsversion der „Rheinhausen–Politik“ zu verbreiten. Ein paar Tage später konnte man dann in den Wirtschaftsteilen von der „FAZ“ bis zur „Süddeutschen Zeitung“ Artikel lesen, die jede Distanz zum Cromme–Zahlenwerk vermissen ließen. Wie wenig es den Blättern im Fall von Rheinhausen um die Klärung der ökonomischen Tatsachen ging und geht, erhellt der Umgang mit den Alternativgutachten. Im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung, in dem zu lesen war, daß die Schließung von Rheinhausen ein „Segen“ für die Stahlindustrie sei, handelte man das in der vergangenen Woche veröffentlichte Resch–Gegengutachten als kleine Nachricht. Dabei ist Resch, im Gegensatz zu Cromme, ein anerkannter Stahlexperte. Resch, von 1984 bis 1986 im Aufsichtsrat der Krupp– Stahl AG, kommt in seinem faktenreichen 68–seitigen Gutachten zu dem Ergebnis, daß die Schließung von Rheinhausen „eine unternehmerische Fehlentscheidung“ wäre. Resch vermutet, daß die Schließung der Hütte gegenüber Dritten, z.B. Thyssen, im Rahmen der Neuordnung der Stahlindustrie schon in einem frühen Stadium zugesagt wurde. Anschließend habe man dann mit „manipulierten Zahlen“ die Hütte kaputtgerechnet. Nicht einmal nach diesen ungeheuerlichen Vorwürfen wurde sich mit dem Resch– Gutachten ernsthaft auseinandergesetzt. Eine brisante Studie wurde vom Schweigekartell geschluckt. Warum? Interview