: "Ein in jeder Hinsicht fairer Prozeß"
■ Professor Dr.Wolfgang Scheffler (Zentrum für Antisemitismus-Forschung, TU Berlin) und Helga Grabitz (Oberstaatsanwältin in Hamburg) über den Demjanjuk-Prozeß
taz: Der historische Hintergrund des Jerusalemer Prozesses betraf vor allem die „Aktion Reinhard“. Was ist darunter zu verstehen? Scheffler: „Aktion Reinhard“ war der Name für die Judenvernichtung, die im Distrikt Lublin unter Leitung von Odilo Globocnik stattfand, später auch das Ghetto Warschau und Bialystok betrafen. Dazu wurden die Vernichtungslager Treblinka, Sobitor und Belzec aufgebaut. Dabei handelte es sich um reine Vernichtungslager, wo die Menschen sofort ermordet wurden. Nur zu ihren eigenen Zwecken hielten sich die Lagermannschaften kleine Gruppen von jüdischen „Sklaven“. In dem Prozeß ist immer wieder der Name des Ausbildungslagers Trawniki gefallen. Scheffler: Trawniki war ein Lager, in dem frühere russische Kriegsgefangene, die man aus den Gefangenenlagern herausgeholt hatte, für die Dienste der SS und der Polizei ausgebildet wurden. Von dort aus wurden sie unter anderem in die Vernichtungslager abgestellt. Sie waren aber auch an zahlreichen Ghettoräumungen beteiligt. Die Trawniki– Einheiten waren ein fester Bestandteil des Personals bei der Judenvernichtung. Waren diese Hilfswilligen freiwillig gekommen oder wurden sie als Zwangsarbeiter benutzt? Scheffler: Man muß sich die Situation in den deutschen Kriegsgefangenenlagern vor Augen halten. Die Leute dort standen vor dem Hungertod. Es ist bekannt, daß dort Millionen Menschen gestorben sind. Die Trawnikis stammten in erster Linie aus der Ukraine und den baltischen Staaten. Als Unterführer fungierten Volksdeutsche, häufig Wolgadeutsche. Insgesamt sind nach Trawniki etwa 4.000 bis 5.000 dieser Personen gekommen. Einer von ihnen war Demjanjuk. Welche Funktionen hatten die Hilfswilligen wie Demjanjuk im Vernichtungsprozeß? Scheffler: Demjanjuk selbst ist in Sobibor und in Treblinka gewesen. Er hat dort zusammen mit einem Deutschen und einem weiteren Hilfswilligen an den Gaskammern gearbeitet. Die Hilfswilligen waren fester Bestandteil der Vernichtungslager. Waren es die Hilfswilligen, die die eigentliche Vernichtung der Menschen betrieben? Scheffler: Das kann man so nicht sagen. Sicher sind die Trawnikis dazu verwendet worden, beispielsweise bei den Ghettoräumungen. Aber es wäre ein Irrtum anzunehmen, daß die deutschen Lagerbesatzungen die „schmutzige Arbeit“ nur ihnen überlassen hätten. Die Deutschen waren bei den Ermordungen direkt beteiligt. Es gab z.B. später Prozesse, in denen die deutschen Angeklagten aussagten, sie wüßten nicht mehr, ob sie nun 100, 200, 500 oder 800 Menschen an der Grube erschossen hätten. Die Wissenschaft hat sich mit dem Komplex Trawniki bisher nur wenig beschäftigt. Warum? Scheffler: Generell ist zu sagen, daß man sich, ausgehend von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, mit einem allgemeinen Bild zufrieden gegeben hat. Die Detailforschung ist deshalb weitgehend unterblieben. Hinzu kommen die großen Probleme bei der Dokumentensuche. Die Prozesse, die in der UdSSR, aber auch in der Bundesrepublik stattfanden, sind schließlich kaum zur Kenntnis genommen worden. Welche Bedeutung hat der Demjanjuk–Prozeß dann für die Wissenschaft? Scheffler: Der Demjanjuk–Prozeß hat für die Historiker eine Fülle von bisher unbekannten Informationen gebracht. Darunter befinden sich viele dokumentarische Nachweise. Besonders wichtig ist jedoch, daß der Stellenwert von Trawniki im Rahmen der Organisation der Judenvernichtung festgestellt worden ist. Was ist nach 1945 aus den Hauptverantwortlichen der „Aktion Reinhard“ geworden? Grabitz: Es hat in der Bundesrepubliik eine ganze Reihe sehr großer Verfahren gegeben. Die wesentlichen Verantwortlichen sind nach dem Krieg gefunden worden. Es gibt keine großen weißen Flecke. Allerdings muß man in diese Bilanz diejenigen miteinbeziehen, von denen festgestellt wurde, daß sie im oder nach dem Krieg verstorben sind. Und schließlich gibt es noch jene, die bei Ermittlungsbeginn Selbstmord begangen haben. Zum Komplex Trawniki gab es einen Prozeß, in dem Sie die Ermittlungen geführt und die Anklage vertreten haben. Grabitz: Ja. Von 1972 bis 1976 habe ich die Anklage in diesem Prozeß vor dem Schwurgericht in Hamburg vertreten. Dort hatte ich den Kommandeur von Trawniki, Karl Streibel, einen Kompanieführer und einige Unterführer aus Trawniki angeklagt. Wie ist der Prozeß ausgegangen? Grabitz: Alle Angeklagten sind freigesprochen worden. Die Tatbeteiligung ist als erwiesen festgestellt worden. Es wurde aber argumentiert, daß sie vor ihrem jeweiligen Einsatz - sei es bei Ghettoräumungen oder in Vernichtungslagern - keine Kenntnis von ihrer Bestimmung gehabt hätten. Aber das ist doch kaum glaubhaft! Grabitz: Es ich auch nicht glaubhaft. Ich stehe nach wie vor verständnislos vor diesem Urteil. Im März 1942 begann mit der Ghettoräumung von Lublin und dem Transport der Juden in das Vernichtungslager Belzec die Involvierung des Lagers Trawniki bei der „Endlösung“. Man kann sich vielleicht noch darüber streiten, ob Streibel über den Zweck der Ghettoräumung in Lublin informiert gewesen ist. Aber es ging weiter, Ghettoräumung auf Ghettoräumung bis zum 19.April 1943 in Warschau. Und jedes Mal soll die Kenntnis darüber erst hinterher gekommen sein? Begründet wurde das damit, daß Trawniki–Hilfskräfte auch in Arbeitslagern zum Einsatz gekommen sind. Aber in der Hauptverhandlung kam durch Streibel heraus, daß ihm damals klar war, daß immer dann, wenn die Befehle zur Abstellung von Globocnik überbracht wurden, ein Vernichtungsauftrag bevorstand. Ist der Komplex Trawniki in der Bundesrepublik strafrechtlich abgeschlossen? Grabitz: Das kann man so nicht sagen. In den USA und in Kanada gibt es immer noch Ermittlungen im Zusammenhang mit Ausbürgerungsverfahren. Momentan ist gerade ein kanadischer Kollege bei mir in Hamburg, der die deuschen Akten auswertet, um in Kanada Anklage zu erheben. Aber im Jahre 1988 ist natürlich die Wahrscheinlichkeit, daß wir noch jemanden finden, nicht sehr groß. Wie bewerten Sie den Prozeß in Jerusalem? Grabitz: Das war ein in jeder Hinsicht absolut fairer Prozeß. Es wurde zwar nach einem völlig anderen Rechtssystem als bei uns vorgegangen, aber das gibt keinerlei Anlaß, an dem Prozeß Kritik zu üben. Das Gespräch führte Klaus Hillenbrand
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