: „Ich will meine patriotische Freude zeigen“
■ Le Pen sagt laut, was viele Franzosen leise denken / Le Pen: Ein Mann der perfekten Fernsehinszenierungen / Nach der Wahl eine siegestrunkene Feier
Aus Paris Sabine Seifert
Die Schlange im Tabakladen ist lang, offensichtlich haben auch andere bis zur Bekanntgabe der Ergebnisse der französischen Präsidentschaftswahlen am Sonntag abend nervös eine nach der anderen gequalmt. Und so mancher mag jetzt erst recht ratlos qualmen. Die rechtsradikale Front National von Jean–Marie Le Pen hat 14,5 Prozent gemacht. „Das ist bezeichnend für die Situation in unserem Land“, sagt die Kassiererin. Sie verfällt in ein nachdenkliches Schweigen, in das sich wortstark der Kerl hinter uns in der Warteschlange hineindrängelt. „Er wird bald auf zwanzig Prozent steigen“, sagt er und meint Le Pen. Es ist ihre Nacht: die des charismatischen Nationalisten Le Pen und seiner Anhänger. Sein rechter Gegner Jaques Chirac muß Selbstsicherheit und Siegesgewißheit spielen, Le Pen hats einfach. Seine Fernsehauftritte während der Wahlkampagne waren mediengerecht und wirksam. Er poltert nun geschliffener. 55 Prozent der Franzosen sind nach einer im Oktober 1987 von SOFRES veranstalteten Umfrage der Ansicht, daß Le Pen „laut sagt, was viele Franzosen leise denken“. Offen sagt niemand, daß er Rassist ist. Im Hauptquartier der Front National wünscht sich ein Wahl kampfleiter, Pascal Gannat, eine Sammelbewegung der Rechten. Während er uns in seinem eleganten Volvo ins Zentrum Paris zurückbringt, analysiert er glasklar die nächste Zukunft. „Ich wünsche mir ein Abkommen mit Chirac.“ „Doch solange Barres UDF Chirac geißelt, wird dieses Abkommen nicht zustande kommen.“ Noch am Wahlabend hat Barre seine Anhänger zur Unterstützung Chiracs bei der zweiten Tour aufgerufen. Der Volvo lädt uns an der Pont dAlma ab. Wir haben Zulaß zur Siegesfeier der Front National auf einem Ausflugsschiff. Eine Siegesfeier ganz nach der Parole „Das Boot ist voll“, wie einer der Sprüche Le Pens hieß. Das Schiff ankert in Sichtweite des angestrahlten Eiffelturms. Flutwellen von Scheinwerferlicht machen das Seinewasser flaschengrün. Mehrere Kamerateams machen auf einmal Jagd auf Kapitän Le Pen, der seinen ausgelassen feiernden Wahlkampfhelfern danken will. Auch diese Fernsehinszenierung ist perfekt, immer wieder hält Le Pen auf seinem Rundgang an und sagt etwa den englischen Fernsehzuschauern radebrechend „I feel very good“. Seinen Anhängern, die mit allen Altersgruppen auf dem Boot vertreten sind, gibt er damit Anlaß zu Jubelstürmen. Besoffen sind sie fast alle, nicht nur vom Alkohol: es ist der Sieg, der den Taumel auslöst.
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