: Ausflüge in die rechte Gehirnhälfte
■ Mit erster Klasse–Ticket in der Berliner New–Age Geist–er–Bahn zum wirklich wahren Selbst
Von S. Vogel / R. Zucker
Schweren Herzens hatten die beiden taz–Damen Zucker und Vogel auf den 1. Mai– Marsch verzichtet, um - stellvertretend für alle Links–Hirnis auf dem Berliner New–Age– Kongreß „Rat Tat Art“ die rechte Hälfte des Denkapparates zu aktivieren. In der sensitiv abgedunkelten Kongreßhalle saßen sie mit 98 anderen Erfahrungshungrigen vor Marilee Zdenek, (zweireihige Perlenkette über legerer Kombination in Türkis), die seit ganzen 15 Jahren schon auf dem Gebiet der Kreativität tätig ist, was auch für uns vom beruflichem Vorteil sein sollte, so jedenfalls die Verhei ßung. Und da sagt sie es: „Die Aktivierung der rechten Hirnhälfte dient vor allem drei Lebensinhalten: deiner Karriere, den menschlichen Beziehungen und, last but not least, natürlich dem Frieden. Hier gibt es Erfahrungen zu lernen. Historisch war es so: In den Vierzigern waren die Eltern für alles verantwortlich, in den Sechzigern das Establishment und jetzt in den Achtzigern ist die Zeit reif, die Verantwortung für das eigene Dasein bei sich selbst zu suchen. Frau Zdenek kündigt mit einem gute–Tante–Lächeln an, sie habe uns drei Geschenke mitgebracht, verrät aber dann leider nur zwei: Entspannung und eine innere Reise. Nun ist schon fast eine Stunde vergangen und wir waren noch gar nicht kreativ! Aber dann bekommen wir doch eine Mandala–Kopie und sollen lange auf schwarzweiße Kreise kucken. Natürlich hat sie auch ein Musiktonband mitgebracht, aber das war der Übersetzerin Frau Sommer, die etwas Schwierigkeiten mit der Translation hatte, ein bißchen zu laut - deshalb konnten wir sie gar nicht so gut hören - (oder waren wir etwa schon in einem anderen Bewußtsein - siehe o.a. Stimmen...). Jetzt endlich dürfen wir auf eine „wunder– wunderschöne Wiese, weit weit weg und lassen alles, was wir nicht gebrauchen können, ganz, ganz weit hinter uns“, und dann gings ab, in einem „Fahrzeug deiner Wahl“ zu einer wunder–wunderschönen Lagune“ (wir spüren schon was - eine große–große Schwere bemächtigt sich der Vogelschen Vüße, Frau Zucker dagegen visioniert unverdrossen weiter eine dicke, dicke Tüte voll öligglänzenden, goldgelben Pommes). In der Lagune erwartet uns eine Schatztruhe, aber vorher mußten wir noch tief, tief tauchen, um dann das aller–allerwichtigste, quasi unser Selbst, zu entdecken! Aber da sind wir schon nicht mehr richtig bei der Sache, weil übereinstimmend das Feststecken einer mysteriösen Lichtkugel im Unterleib festzustellen ist. Aber, so sagt die Animateurin anschließend, auch wenns nicht gleich klappe, sei das sehr sehr positiv! Nun sollen mal die Mutigen von ihrer ganz privaten Reise berichten, und als Erster meldet sich einer, der ein Pistolenhalfter (Waffe?) trägt und eifrig gesteht, er habe doch tatsächlich erst nicht entscheiden können, ob er lieber fliegen oder tauchen wolle - er flog dann. Einer ohne Schulterhalfter entpuppt sich als Fortgeschrittener (schon rechtshirnig aktiviert), und weiß von „Monolithen mit Spalten“ zu berichten, was alle ziemlich verwundert. Erleichterung ist zu spüren, als er in eine Spalte reingeht. Wir möchten hierfür keine feministischen Anwürfe hören müssen, so ist das eben in der rechten Hälfte!
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