„Wir Elsässer sind große Patrioten“

■ Im Elsaß hat Jean–Marie Le Pen mit seiner „Front National“ große Erfolge erzielt / Besonders das Thema „Ausländer“ kam an - obwohl der Ausländeranteil im Elsaß den Durchschnitt nicht übersteigt / Die Elsässer: Französischer als die Franzosen

Aus Straßburg Martina Kirfel

Das elsässische Heiligenstein, ein Dorf mit 728 Seelen, liegt am Fuße der Vogesen. Der Blick schweift über Weinberge, Fachwerkhäuser, Türmchen, Treppengiebel. Die sonntäglichen Glocken vom Nachbarort klingen herüber. Im Garten von Monsieur Kleinknecht regnet es Blütenblätter. „Die Araber müssen raus“, sagt der mittlere Unternehmer, „sonst sind wir in 20 Jahren alle Muselmänner.“ Auf der Gasse löst die Frage „Warum Le Pen?“ eine Lawine aus. „Jetzt muß Schluß sein mit den Einwanderern. Die kommen einfach her, haben alle Gemeinderechte und nehmen unseren Jungen die Arbeit weg. Wir wollen unsere Arbeit selbst machen.“ Der Bäckermeister aus dem Nachbarort, Roland Gug, kennt nur eine Lösung: „Olle s (alle raus). Und noch besser: der Iran sollte mal in die Türkei einfallen und 40.000 oder 50.000 erwischen.“ Gemäßigter ist die Kindergärtnerin des Ortes: „Ich bin für die Integration. Wir müssen sie einfach zu unseren Freunden machen - wenn es sein muß mit Zwang.“ In Heiligenstein gibt es sechs Ausländer. Die Zahl hat sich seit 1980 nicht verändert - lediglich eine Person hat eingeheiratet. Fast jeder dritte Dorfbewohner (32 Prozent) hat für Le Pen gestimmt. Heiligenstein gehört damit zu jenen Dörfern im Elsaß, in denen der Stimmenanteil der Front National besonders hoch war, obwohl kaum Einwanderer dort leben. Fremdenhaß ohne Fremde: Das scheint, von einigen Ausnahmen abgesehen, die Regel im Elsaß. Mit 22 Prozent der Stimmen für Le Pen liegt das idyllische Grenzland weit über dem Landesdurchschnitt von 14 Prozent. Und das, obwohl der Anteil der Ausländer im Elsaß dem Landesdurchschnitt von unter zehn Prozent entspricht und in den letzten fünf Jahren stagniert (1985: 132.000, 1987: 129.000 Ausländer). Le Pens Warnung vor der „Überfremdung im Elsaß“ hat trotzdem getroffen. In Straßburg hingen Wahlplakate, die eine Elsässerin mit Gesichtsschleier vor dem zur Moschee umfunktionierten Straßburger Münster zeigten. Doch in den blitzblanken Dörfern sind Minarette schwer zu finden. Überall ragen, wie vor zehn und 100 Jahren, die Kirchtürme in den elsässischen Himmel. „Es gibt keinen objektiven Grund für dieses Wahlergebnis“, sagt Marcel Rudloff, Bürgermeister von Straßburg (UDF). „Die Arbeitslosigkeit liegt im Elsaß bei 7,5 Prozent, ist also ziemlich niedrig. Die Zahl der Ausländer stagniert. Trotzdem haben die Leute Angst. Es ist ein psychologisches Phänomen. Immer wieder stößt man in den Gesprächen auf ein Schlüsselwort: „Identität“. „Der Elsässer hält sehr auf seine Identität“, erklärt Marlene Heng, eine Aktivistin der Front National aus Barr. Bis vor kurzem war sie Mitglied der CDS (Christ–Demokraten), bis sie sich 1987 enttäuscht von der Politik der „zivilisierten Rechten“ auf die Seite der extremen Rechten schlug. „Unsere Glockentürme, unsere Kirchen, unsere Weinstuben... Sie verstehen mich. Der Elsässer liebt seinen Dialekt. Er liebt seine Tradition. Jean–Marie liebt dieses Vaterland. Deshalb hat er bei uns Erfolg.“ In dieser Krise der französischen Nation und der bürgerlichen Rechten ist das Grenzland Elsaß vieleicht ein Seismograph. Hier wollen viele französischer sein als alle anderen Franzosen. Marlene Heng aus Barr: „Wir Elsässer sind große Patrioten. De Gaulle war ein großer Patriot. Le Pen repräsentiert dieselben Werte: Ehre, Arbeit, Disziplin und Wahrheit.“ Der Pariser Soziologe Herve Le Bars sieht in dem Aufstieg Le Pens vor allem in Grenzregionen auch eine Reaktion auf den Druck der wirtschaftlich stärkeren Nachbarländer. „Wir sind die Neger der Deutschen“, sagt Madame Buhler aus Gertwiller. „In der deutschen Schuhfabrik Romika, die hier in der Nähe eine Niederlassung hat, arbeiten die Elsässer für weniger Geld als die Deutschen jenseits der Grenze.“ Aber das Elsaß ist nicht nur Grenzland, es ist eines der französischen Gebiete mit rasanter industrieller Entwicklung. Hier werden die sozial–kulturellen Probleme der Zweidrittelgesellschaft bsonders deutlich. Der 20jährige Raymond aus Gertwiller ist ein typisches Beispiel. Er hat zwar einen Arbeitsplatz in einem Großhandel, aber er hat Angst vor der Rationalisierung. „Ich und alle meine Freunde haben Le Pen gewählt. Hier sind überall Araber, die nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“ Raymond gehört zu den 31 Prozent der 18 bis 34jährigen, die in Frankreich Le Pen gewählt haben. Eine andere Gruppe, die von der industriellen Entwicklung an den Rand gedrängt wird, sind Kleinhändler. 31 Prozent von ihnen stimmten für die Front National. Auch sie projizieren ihre ökonomische Angst und das Gefühl der kulturellen Unsicherheit auf die Ausländer: Monsieur Lantz aus Barr ist Lebensmittelhändler. „Jetzt machen die Türken schon Geschäfte auf. Letzten Sommer verkauften sie hier das Kilo Erdbeeren für zehn Franc. Die konnten doch nur geklaut sein.“