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Türkei: Immer droht der Putsch

■ Angesichts sich ausbreitender sozialer Unruhe malt Staatspräsident Evren die Möglichkeit eines erneuten Militärputsches an die Wand / Doch Evren ist ein ehrenwerter Mann

Aus Istanbul Ömer Erzeren

Kenan Evren ließ die Katze aus dem Sack: „Wenn in der Türkei Zustände einkehren, wie vor dem 12. September 1980 (dem Tag des Militärputsches), wird die Türkei wieder von den Streitkräften gerettet werden.“ Mit dieser Äußerung hatte der General, der 1980 den Staatsstreich angeführt hatte und seit 1982 als Staatspräsident fungiert, alle anderen Meldungen von den Titelseiten der türkischen Zeitungen verdrängt. In einer Rede in Trabzon hatte er offen auf einen Militärputsch angespielt und zum Ausdruck gebracht, wie ärgerlich die Militärs über die jüngste Entwicklung sind. „Ich kann doch nicht schweigen, wenn eine Generaloffensive gegen mich eröffnet wird. Es sind Kräfte am Werk, die das Land in Terror und Anarchie führen wollen.“ An der Rede gab es nichts zu deuten: Der Staatspräsident drohte mit einem Putsch, falls die politische Entwicklung in einer Richtung verläuft, die den Militärs nicht genehm ist. Evrens Rede schockierte, obwohl sie nur einen banalen Tatbestand in Erinnerung ruft: daß die Militärs auch acht Jahre nach dem Putsch - trotz Wahlen, Parteien, Parlament - immer noch an den Hebeln der Macht sitzen. Die Oppositionsparteien griffen Evren erbittert an. Der sozialdemokratische Oppositionsführer Inönü sprach davon, daß die Rede bestenfalls falsch und irreführend sei. Nehme man sie jedoch ernst, sei sie eine Ungeheuerlichkeit. Der Vorsitzende der „Partei des rechten Weges“, der konservative Politiker Süleyman Demirel, bezichtigte Evren des Verfassungsbruches. Wo, bitteschön, stände in der Verfassung, daß die Militärs putschen dürften. „Wir haben die Verfassung gemacht, aber im Bedarfsfall lassen wir sie fallen“, sei der Inhalt von Evrens Rede. „Wir wollen keinen Retter“ (Demirel) und „Die Militärintervention ist ein leerer Traum“ (Inönü) waren die Schlagzeilen der Cumhuriyet. Der tägliche Schlagabtausch zwischen Oppositionsführern und Staatspräsident geht schließlich um nichts Geringeres als um die Frage, ob ein Putsch legitim ist. Einer der wenigen, die Evren zu Hilfe eilten, war Ministerpräsident Özal. Er bescheinigte dem Präsidenten eine „zutiefst demokratische Gesinnung“ und rechtfertigte zum wiederholten Mal den Putsch von 1980 „zur Rettung des Vaterlandes“. Angesichts der sozialen Unruhe, die sein Sparprogramm bereitet, kommen ihm Drohgebärden der Militärs nicht ungelegen. Ein Wink an die Bürger: Bleibt brav, sonst kommt Schlimmeres. öe

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