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Predigen gegen die israelische Besatzung

Die Jama al Salahi–Moschee liegt im Herzen von Nablus, der größten Stadt der israelisch besetzten Westbank, eine gute Stunde Autofahrt von Jerusalem entfernt. In den verwinkelten Gäßchen mit ihren zum Teil jahrhunderte alten Gemäuern und Torbögen schlägt der kommerzielle Puls der Region. Doch an diesem Samstag sind die von außen klein und unscheinbar wirkenden Läden geschlossen. In einer Reaktion auf den palästinensischen General streik vom letzten Mittwoch haben die Besatzungsbehörden die Schließung der Geschäfte für drei Tage bis einschließlich Sonntag verfügt, ehe Montag und Dienstag die beiden nächsten Streiktage anstehen. Abu Islam ist der Freitagsimam der Jama al Salahi–Moschee. Am wöchentlichen islamischen Feiertag hält er dort eine Predigt. Er ist zugleich Journalist und arbeitet für die palästinensische Nachrichtenagentur PPS, die von den Be hörden für eine halbes Jahr geschlossen wurde. In seinen Predigten greift Abu Islam aktuelle Ereignisse auf, analysiert sie vom islamischen Standpunkt aus und möchte seiner Zuhörerschaft so mit Rat und Tat zur Seite stehen. Kürzlich hat der etwa 40jährige Imam beispielsweise über das Thema der Hadj, der alljährlichen Wallfahrt nach Mekka, gesprochen, denn jetzt ist die Zeit, in der sich die Pilger registrieren lassen müssen. Der Koran, so Abu Islam, schreibe den Gläubigen vor, einmal im Leben die Fahrt zu den Heiligtümern im heutigen Saudi–Arabien anzutreten - sofern sie finanziell dazu in der Lage seien. Angesichts der Intifada, des palästinensischen Aufstands in den besetzten Gebieten, hätten jedoch viele Gläubige wirtschaftliche Probleme. Vom islamischen Standpunkt aus gesehen sei es daher höher zu bewerten, wenn man die für die Hadj notwendige Summe von etwa 3.000 Dollar an die Bedürftigen verteile. Nur wenn nach der Spende noch Geld übrig sei, könne guten Gewissens die Fahrt nach Mekka angetreten werden. Mit seinen politisch inspirierten Predigten steht er keineswegs allein. Seit Beginn der Intifada werden in den Freitagspredigten häufig Themen wie Gefangenschaft und Kampf gegen Ungerechtigkeit aufgegriffen. Mit Fundamentalismus hat das freilich nichts zu tun. Abu Islam bezeichnet sich als einen „normalen“ Moslem, in dem Sinne, wie auch die überwältigende Mehrheit der palästinensischen Moslems den Islam verstehe. Damit setzt er sich von den beiden fundamentalistischen Strömungen in den besetzten Gebieten, den Moslembrüdern und dem „Islamischen Heiligen Krieg“ (nicht zu verwechseln mit der schiitisch–libanesischen gruppe gleichen Namens) ab. Für die Moslembrüder ist er der „rote Sheikh von Nablus“, seit er 1980 an der Spitze einer nationalistischen palästinensischen Liste seine fundamentalistischen Konkurrenten bei den Wahlen zum Studentenrat der Najah–Universität auf den zweiten Platz verbannte. „Die Idee von einem großen islamischen Staat (in Israel und den besetzten Gebieten, d. Red.) paßt hier nicht“, begründet der Imam seine Kritik an den Moslembrüdern. „Wir können doch nicht zur Militärverwaltung gehen und sagen, bitte, wendet die islamischen Vorschriften auf uns an. Die Moslembrüder tun, als wäre unsere Situation hier die gleiche wie in jedem arabischen Staat“, erläutert Abu Islam. Zwei Monate nach Beginn des palästinensischen Aufstandes haben die Moslembrüder in Nablus angefangen, sich an den Aktionen der Bevölkerung zu beteiligen. In den letzten zwei Jahren hatte es vor allem an den Universitäten wiederholt handfeste Auseinandersetzungen zwischen palästinensischen Fundamentalisten und Nationalisten gegeben. Doch ganz reibungslos ist die Kehrtwende offenbar nicht. So haben die Moslembrüder für den letzten Dienstag, einen Tag vor dem von der Führung des Aufstands angesetzten Generalstreik, zu einem eigenen Streiktag aufgerufen, dem die Bevölkerung laut Abu Islam jedoch keine Folge geleistet hat. Auch der „Islamische Heilige Krieg“ oder „Jihad Islami“ sind in seinen Augen Fanatiker. Anders als die Moslembrüder, ist der Jihad in der Führung des Aufstands vertreten. „Es ist kein Geheimnis, daß der Jihad ein Teil von Fatah ist“, meint der Imam und bezieht sich dabei auf die größte Palästinenserorganisation von PLO– Chef Yassir Arafat. „Schon Ende der 60, Anfang der 70er Jahre gab es eine spezielle Gruppierung für sehr religiös motivierte Palästinenser, nur unter einem anderen Namen, das ist nichts Neues.“ Die soziale Basis für solchen „Extremismus“ siedelt er in den Lebensbedingungen in den palästinensischen Flüchtlingslagern, vor allem auch im Gaza–Streifen an. Obgleich er selbst Vertreter eines sozial und politisch aktiven Islam ist, versteht er seinen Kampf zugleich als Kampf gegen extremistische Strömungen. „Wie kann ich von einem Palästinenser, der im Lager wohnt, dessen einer Sohn in Gefängnis sitzt, dessen zweiter verwundet und ein dritter vielleicht ausgewiesen wurde, der unter der Ausgangssperre lebt und zusehen muß, wie Israel seinen 40. Jahrestag in seinem Land, vielleicht sogar in seinem Haus feiert, erwarten, daß er analytisch denkt. Wenn wir jetzt gegen die Besatzung kämpfen, dann fühle ich, daß ich nicht nur meine Leute verteidige, sondern gleichzeitig gegen die Ausbreitung des Extremismus kämpfe, der nicht nur mein Volk, sondern auch unseren Nachbar Israel und die gesamte Region bedroht.“ Beate Seel I N T E R V I E W

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