: Norwegen: Lohnstopp–Gesetz statt Tarifverhandlungen
■ Regierende Arbeiterpartei hebt Tarifautonomie auf / Fette Öljahre sind zu Ende
Aus Oslo Reinhard Wolff
„Eine deutliche Spur in der norwegischen Nachkriegsgeschichte“ werde das Gesetz hinterlassen, mutmaßte Ministerpräsidentin Gro Harlem–Brundtland im Parlament. Die Kritiker von rechts und links stimmten ihr darin voll zu - wenn auch mit jeweils ganz unterschiedlichen Hintergedanken. Einschneidend ist ein Gesetz zur Ausschaltung der Tarifautonomie allemal - aus welchem Blickwinkel auch immer. Norwegens Wirtschaft hat den Ölpreisverfall von 1986 nicht verkraftet, zu sehr waren Staatshaushalt und Privatwirtschaft auf einen stetig steigenden Erlös aus dem Verkauf des Nordseeöls ausgerichtet. Durch Auslandsverschuldung wurde das ersetzt, was an Öleinnahmen ausblieb; trotz Abwertung der Krone nähert sich die Inflationsrate zweistelligen Zahlen. Da gleichzeitig in vielen Branchen ein Arbeitskräftemangel herrscht, war die Industrie bereit, recht weitgehende Lohnzugeständnisse zu machen. Bestimmte Berufsgruppen konnten im letzten Jahr ein Plus von bis zu 18 Prozent verbuchen. Dem Gewerkschaftsdachverband war dies wegen der wachsenden Lohnunterschiede ebensowenig geheuer wie der Regierung und dem Arbeitgeberverband: Die ganz große Interessenkoalition war vorhanden. Bei fünf Prozent ist in diesem Jahr Schluß mit den Lohnerhöhungen. In der Praxis bedeutet dieses Gesetz, daß sich 90 Prozent der Arbeiter und Angestellten mit einem Lohnaufschlag von umgerechnet 25 Pfennig pro Stunde werden begnügen müssen. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn die Inflationsrate weiter steigt, denn ein diesem Lohnstopp entsprechender Preisstopp wurde nicht beschlossen. Man müsse bis zu Mussolinis korporativer Politik im Italien der dreißiger Jahre zurückgehen, um einen ähnlichen Eingriff zu finden, „der den Arbeitern die Möglichkeit nimmt, über etwas so grundlegendes wie den Preis ihrer Arbeitskraft zu verhandeln“. Ausgerechnet der Vorsitzende der rechtsradikalen Fortschrittspartei konnte die Arbeiterparteiregierung mit diesem Vergleich in Verlegenheit bringen. Eines jedenfalls scheint sicher: Das Lohngesetz dürfte den Wählerrückhalt der sozialdemokratischen Minderheitsregierung noch weiter drücken. Bei unter 30 Prozent war sie schon bei den letzten Meinungsumfragen angelangt. Finanzminister Berge beklagte deshalb das Unverständnis der Stimmbürger in die großen volkswirtschaftlichen Zusammenhänge: Der einkommenspolitische Eingriff sei eine absolute Notwendigkeit gewesen. Vor dem Hintergrund einer Wirtschaftspolitik, die nach wie vor einseitig auf Norwegens Rolle als Öllieferant setzt, mag er damit gar nicht so unrecht haben. Und grundlegendere wirtschafts– und regionalpolitische Fragen stellt angesichts der Wahlen im nächsten Jahr keine der Parlamentsparteien. Die weitgehende Beschränkung auf ein Einfrieren der Löhne gibt eigentlich nur Sinn, wenn man auf das bald wieder sprudelnde Ölgeld hofft - bis zur nächsten „Preiskrise“.
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