piwik no script img

Wenn der Richter aufwacht, gibt es Berufsverbot

■ DKP–Kreisvorsitzender steht zum drittenmal bei Berufsverbotsprozeß vor Gericht Richter Groschupf dämmert vor sich hin und läßt Beweisanträge nicht zu

Aus Hannover Jürgen Voges

Entschlossenen Schrittes überwindet Verwaltungsgerichtspräsident Otto Groschupf die Distanz zwischen der Tür zum Beratungszimmer und dem erhöhten Richtertisch, der wie alle Möbel und die Wandverkleidung des Saals „001“ im hannoverschen Landgericht aus heller Eiche gefertigt ist. „Schreiben Sie“, herrscht der Präsident - nun sitzend - die blonde Protokollbeamtin an, „die Kammer hat beschlossen, ... eh ...“ Seit Jahren leitet der Vorsitzende der Disziplinarkammer beim Verwaltungsgericht Berufsverbotsprozesse, und es sind immer die gleichen, kurzen, juristischen Formeln, mit denen er nach den Beratungspausen die Beweisanträge der Verteidigung zurückweist. Zwölf Worte hatte er diesmal in der 20minütigen Pause zu formulieren, doch er kämpft wie immer um jedes einzelne. „Die Kammer hat beschlossen ...“, sagt er von neuem und blickt hilfesuchend nach seinem Beisitzer, „der Beweisantrag der Verteidigung ..., Anlage Nr. ... vier, wird ... als wahr unterstellt.“ Alle horchen auf und amüsieren sich. Als „wahr“ hat der 61jährige Otto Groschupf gerade bezeichnet, daß „insbesondere auch dieses Verfahren dazu dient, die DKP politisch zu bekämpfen.“ Der 38jährige Gesamtschullehrer Karl–Otto Eckartsberg aus Garbsen ist zum drittenmal der „angeschuldigte Beamte“ in einem Berufsverbotprozeß. 1983 verfügte die gleiche Disziplinarkammer seine „Entfernung aus dem Dienst“, weil er zuvor bei Kommunalwahlen für die DKP kandidiert hatte. Es war eine politische Niederlage für die Albrecht–Regierung, daß der Niedersächsische Disziplinarhof dieses Urteil dann wieder aufhob und dem Beamten einen „Verbotsirrtum“ zugestand, weil er sich auf Erklärungen früherer Landesregierungen berufen konnte, wonach eine DKP–Kandidatur kein Dienstvergehen darstelle. Nach seinem Freispruch Anfang 1985 mußten die meisten anderen Berufsverbotsverfahren in Niedersachsen eingestellt werden. Eckartsberg ließ sich danach nicht mehr als Kandidat der DKP aufstellen, übernahm im Januar 1986 aber den Kreisvorsitz Hannover– Land der DKP und gehörte damit auch dem DKP–Bezirksvorstand an. Vom ersten bis zum gestrigen fünften und letzten Prozeßtag verteidigte sich Eckartsberg immer wieder selbst mit eigenen Erklärungen, aber das Gericht ließ ihm auch keine anderen Möglichkeiten. „Ziel jedes justizförmigen Verfahrens ist es“, so muß die Rechtsanwältin Hela Rischmüller–Pörtner am Ende in ihrem Plädoyer die Kammer belehren, „sich durch die Beweisaufnahme ein umfassendes Bild zu verschaffen.“ Die Verurteilung des Angeklagten dürfe doch nicht von vornherein das Ziel sein. Allein 23 Beweisanträge zum dienstlichen persönlichen und politischen Engament des Angeschuldigten kann die Verteidigerin aufzählen, die Richter Groschupf nicht zugelassen hat. Die Kammer wollte auch nicht erfahren, wie Eltern, Schüler und Kollegen auf Eckartsbergs Engagement in der DKP reagiert haben. Es interessierte sie ebensowenig, daß die Berzirksregierung ein halbes Jahr lang, bis durch die Landtagswahl 1986 die Regierung Albrecht im Amt bestätigt war, in dem DKP–Kriegsvorsitz überhaupt kein Dienstvergehen sah. Selbst Beweisanträge zum Verfahren vor der Internationalen Arbeitsorganisation, in dem die Berufsverbotepraxis für völkerrechtswidrig erklärt worden ist, fanden nicht den Segen des vorsitzenden Richters. Die Verteidigerin kann nur einen in der Prozeßführung des Vorsitzenden begründeten „gravierenden Aufklärungsmangel konstatieren“. Otto Groschupf in der Robe mit dem lila Besatz läßt auch dies, wie das übrige Verfahren, teilnahmslos, fast schläfrig übersich ergehen. Wenn er mal aufwacht, macht er meist ein beleidigtes Gesicht, seine plötzlichen aggressiven Ausfälle wie in früheren Verfahren riskiert er nur noch selten. Auch wagt er es in diesen fünf Tagen kaum noch, sich zu wehren, wenn ihm der Angeklagte oder einer der beiden Verteidiger über den Mund fahren. Er könnte ja daneben greifen und wieder einen Befangenheitsantrag riskieren. Da bellt hin und wieder der Beisitzer Wilcke von links dazwischen und klärt die Situation im Sinne seines Herrn. Der Dritte im Bunde, der Laienrichter Heuse, ein Gerwerbelehrer und CDU– Kommunalpolitiker, sagt im Prozeß nie etwas. „Nicht gut“, sagt auf die Frage, wie er sich jetzt fühle, der Vertreter der „Anklage“, der Regierungsdirektor Johann–Albrecht Haupt, nachdem er gerade „auf Entfernung aus dem Dienst“ plädiert hat. Der „Vertreter der Einleitungsbehörde“ der Bezirksregierung spielt die traurigste Rolle in diesem Raritätenkabinett. Privat linker Sozialdemokrat und natürlich Gegner der Berufsverbote, handelt er hier strikt nach Dienstanweisung. Auch daß die DKP sich im Zuge der jetzigen parteiinternen Diskussion durch Gorbatschow und Glasnost gewandelt habe, läßt er nicht gelten. Dies hatte der einzige von der Kammer zugelassene Zeuge, der Politologe Jürgen Seifert, in seinem Gutachten dargelegt. Doch auf die Ausführungen des „Anklagevertreters“ kommt es in diesem Verfahren gar nicht an. Der Vorsitzende hat in früheren Berufsverbotsverfahren schon von „Kommunistenprozessen“ gesprochen, hat im ersten Urteil gegen Eckartsberg die DKP als „verfassungswidrige Partei“ bezeichnet, sich also die Rechte des Bundesverfassungsgerichts angemaßt. Wer wie er seit seiner Verurteilung Peter Brückners einen ruinierten Ruf hat, wer selbst von konservativen Richterkollegen geringgeschätzt wird, wer seine Karriere immer nur „Wegbeförderungen“ zu verdanken hat, wer eben Otto Groschupf ist, der will es nicht auch mit dem letzten, der Landesregierung, verderben, der erkennt auf „Entfernung aus dem Dienst“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen