Nachmann–Millionen: Fall für den Staatsanwalt

■ Vorermittlungen gegen mögliche Mitwisser der Unterschlagung / Nachlaßverwalter bestätigt: 22 Millionen vom Zentralrat auf Nachmanns Konten

Von Bornhöft und Sieber

Berlin (taz) - In die Affäre um den verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats deutscher Juden, Werner Nachmann, hat sich die Staatsanwaltschaft Karlsruhe eingeschaltet: Sie leitete gestern ein Vorermittlungsverfahren ein. Nachmann wird beschuldigt, bis zu 33 Mio. Mark Zinsen aus Wiedergutmachungsgeldern unterschlagen zu haben. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft könnten sich auch andere als Mittäter oder Gehilfen strafbar gemacht haben. Gleichzeitig wird damit gerechnet, daß heute oder morgen das Karlsruher Amtsgericht ein Konkursverfahren über den Nachlaß Nachmanns eröffnen wird. Der vom Konkursrichter als Nachlaßverwalter eingesetzte Rechtsanwalt Eberhard Braun bestätigte gegenüber der taz, er habe auf Nachmanns Firmenkonto „22 Mio. DM entdeckt, die in der Zeit von 1979 bis 1987 vom Zentralrat und Oberrat eingegangen sind“. Braun hat „keinen Sachverhalt entdecken können, der den Firmeninhaber zum Behalten dieser Gelder berechtigt. Sofern das Geld noch da wäre, müßte es zurückgezahlt werden.“ Der Zentralrat fordert 30 Millionen aus Nachmanns Nachlaß. Um überhaupt eine Aufklärung über das Finanzgebaren Nachmanns zu erhalten, erklärte sich der Zentralrat bereit, die Kosten für das Konkursverfahren zu übernehmen. Das Amtsgericht hatte die Eröffnung zunächst mit der Begründung abgelehnt, daß die persönliche Hinterlassenschaft Nachmanns nicht einmal ausreiche, das Verfahren zu bezahlen. Nachmann wird beschuldigt, zwischen 1980 und 1987 die Zinsen von 400 Millionen staatlichen Wiedergutmachungsgeldern unterschlagen zu haben. 1980 hatte die Bundesregierung einen sogenannten „Härtefonds“ für jüdische Verfolgte eingerichtet und dafür die 400 Mio. Mark zur Verfügung gestellt. Diese Gelder waren für jüdische NS–Opfer gedacht, die die Ausschlußfristen, des Bundesentschädigungsgesetzes nicht einhalten konnten und somit zunächst leer ausgehen mußten. Die jüdischen Verfolgten konnten aus diesem Härtefonds eine einmalige Abschlagszahlung bis zu 5.000 Mark beantragen. Fortsetzung auf Seite 2 Die 400 Millionen Mark sind vom Finanzministerium in mehreren Tranchen an den Zentralrat der Juden überwiesen worden. Nach den Richtlinien der Bundesregierung sollte die „Claims Conference“ - eine internationale Organisation mit Sitz in New Yorck, Frankfurt und Tel Aviv, die die Ansprüche der jüdischen NS–Opfer auf Entschädigung vertritt - die Gelder verteilen. Ein Frankfurter Mitarbeiter der „Claims Conference“ erläuterte das Verfahren so: Sie hätten die Anträge der jüdischen Verfolgten geprüft und beim Zentralrat der Juden dann in regelmäßigen Abständen die entsprechenden Summen angefordert. Dies habe immer reibungslos funktioniert. Zeichnungsberechtigt waren Werner Nachmann als Vorsitzender des Zentralrats sowie der Generalssekretär des Zentralrats, Alexander Ginzburg. Ginzburg war gestern bis Redaktionsschluß für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Die „Claims Conference“ schickte dem Finanzministerium regelmäßig Nachweise über die Auszahlungen an die Opfer. Der 400 Millionen–Fonds ist bislang noch nicht vollständig ausgeschöpft; allerdings werden bei der „Claims Conference“ noch immer Anträge gestellt. Allein aus dem Härtefonds der jüdisch Verfolgten sind die Gelder in Selbstverwaltung vergeben worden. Die nicht–jüdischen Verfolgten müssen, soweit sie von Entschädigungszahlungen nicht ganz ausgeschlossen wurden, bei einer Behörde, dem Regierungspräsidium in Köln, ihre Anträge stellen. Die Verfolgtenverbände haben immer wieder kritisiert, daß sie an der Vergabe der Gelder nicht beteiligt sind und die Betroffenen so der Bürokratie ausgeliefert wurden. Werner Nachmann war am 21. Januar 1988 im Alter von 62 Jahren an den Folgen eines Herzanfalles gestorben. Fast 23 jahre war er Vorsitzender des Zentralrates deutscher Juden. Als Unternehmer gehörte ihm eine Recyclingfirma in Karlsruhe mit 45 Beschäftigten, die zweimal von unbekannten Brandstiftern abgefackelt wurde. Darüber hinaus war Nachmann als Gesellschafter an etwa zehn Firmen im In– und Ausland beteiligt. Für eine rückhaltlose Aufklärung der Affäre sprachen sich gestern verschiedene Mitglieder der Zentralrates aus. Der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats, Fürst und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurts, Ignaz Bubis, bestritten Vorwürfe, die Mitglieder des Zentralrates hätten Nachmann nicht hinreichend kontrolliert. Unterdessen scheint der Skandal in jüdischen Kreisen eine Diskussion über Strukturveränderungen im Zentralrat auszulösen. So sagte Hermann Alter, Mitglied des Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, man müsse überlegen, ob der Zentralrat, die höchste Vertretung der Juden, weiterhin ehrenamtlich organisiert werden könne.