: „Ostland . . . trägt ein deutsch Gesicht“
■ Im niedersächsischen Hetendorf bei Celle trifft sich alljährlich auf abgesperrtem Gelände die „Wiking–Jugend“ / „In 35 Jahren 15.000 Kinder und Jugendliche in unseren Reihen erzogen“ / „Volkstreue Elite“, die der „re–education“ widerstand
Aus Hetendorf Lucia Brasi
Morgenappell im traditionellen Pfingstlager der „Volkstreuen Jugend“: Unter der Fahne mit Odalsrune sind Samstag früh 9 Uhr knapp zweihundert ewig Gestrige angetreten. Vom Kleinkind bis zum Greis, in Reih und Glied. „Pimpfe“ wie „Mädel“ im einheitlichen Lagerdress, schwingender blauer Rock zu weißen Blusen, graues Fahrtenhemd zu schwarzer Kniebundhose, gehalten vom Gürtel mit Odalsrunenkoppelschloß, seit 1952 Uniform der „Wiking–Jugend“. Dazu die „Freunde und Kameraden“ des In– und Auslands: Einige dutzend Anhänger von „FAP“ und „Nationalsozialistischer Front“, eine Gruppe von spanischen Faschisten, Vertreter der Schwesterorganisationen aus Belgien, den Niederlanden und Österreich. Wie schon in den vergangenen zwei Jahren treffen sie sich in der abgelegenen niedersächsischen 100–Seelen–Gemeinde Hetendorf (Kreis Celle). Fünf Tage lang ist das abgeschirmte Gelände des „Freundeskreis Filmkunst e.V.“ aus Hamburg in der Hand der „Wiking–Jugend“. Deren Bundesführer, Wolfang Nahrath aus Stolberg, beschließt seine Ansprache mit einem dreifachen „Wiking– Heil“. Für den Mittsechziger ist das hier alles nur „Jugendpflege“, keine Politik. „Wir haben in den 35 Jahren unserer Arbeit 15.000 Kinder und Jugendliche in unseren Reihen erzogen“, sagt er mit sichtlichem Stolz. Nach und nach füllt sich das Lager. Stattliche Knaben mit gepflegtem Haarschnitt entsteigen einem Mercedes der S–Klasse, ein in der Gegend bekannter Geschäfsmann überläßt sie der Obhut der „Wikinger“. Friedhelm Busse, vormals Führer der verbotenen „Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands“ wird, wie alle Führerfiguren, freundschaftlich begrüßt: mit einem „Heil Dir“ und der entsprechenden Bewegung des rechten Arms. Junge Frauen in BDM–Tracht lassen sich für ihren „volkstreuen“ Nachwuchs, die kleine Flora und den kleinen Adolf, Komplimente machen. Der 71jährige Schriftführer der „Wikinger“, Wehrmachtshauptmann a.D. Walter Matthaei, kümmert sich militärisch hart um die Gäste aus Spanien. Am Nachmittag trifft auch Landarzt Uwe Jürgens, Gründer einer Wehrsportgruppe, in Hetendorf ein. Nur ein Kamerateam stört die Idylle. Mehrere Stunden verhandeln die Fernsehleute über eine Drehgenehmigung bei den „Wikingern“: Fünftausend Mark sollen sie bezahlen, für die gleiche Summe wird ihnen ein selbstgedrehter Videofilm über das Pfingstlager vom Vorjahr angeboten. Die Szenenfolge ist beeindruckend: Beim „Wiking– Kampf“ robben Jugendliche mit Marschgepäck unter Stacheldrahtsperren, überwinden wie beim Militär meterhohe Wände, hangeln an Seilen von Baum zu Baum, üben sich im Schießen am Kleinkalibergewehr. Doch der Filmverkauf - „wir brauchen schließlich Geld für unsere Arbeit“ - kommt nicht zustande. Manfred Borm, norddeutscher „Wiking–Gauführer“, schießt noch schnell ein paar Fotos von den unliebsamen Journalisten, dann zieht das Fernsehteam ab. Man ist wieder unter sich. Kriminalbeamte beobachten die Aktivitäten von außen, ohne einzugreifen. „Was sollen wir denn tun“, fragt auch Bauer E. Wie andere Bewohner muß er ohnmächtig zusehen, wie Neonazis durch sein Dorf marschieren und schon Kleinkinder ein körperliches und geistiges Rüstzeug erhalten, das nahtlos an die Tradition der „Hitler–Jugend“ anknüpft. Hier gilt die Vergasung von sechs Millionen Juden als „gesetzlich verordnet“ und die Bundesrepublik Deutschland als „Unrechtsstaat“. Hier begreift man sich als wahre Deutsche im Sinne der 1945 von den Alliierten außerkraftgesetzten Reichsverfassung. Als „volkstreue“ Elite, die der verordneten „reeducation“ erfolgreich widerstehen konnte.
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