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Der Pokalverteidiger Hinter dem Tor des Ulrich Stein

Der Pokalverteidiger

Hinter dem Tor des Ulrich Stein

Uli Stein, 33, spuckt wieder einmal in die behandschuhten Hände. Bestimmt zum 20. Mal an diesem Nachmittag. Unbeeindruckt von der Kulisse, von dem Geschrei der 72.000 Zuschauer, steht er konzentriert in seinem Kasten. Keine Spur von Aufregung. 20 Meter vor seinem 7,32-Meter-Gehäuse liegt der Ball. Der Schieri hat Freistoß für die Bochumer gepfiffen. Stein schaut auf das weiße Leder wie die Schlange aufs Kaninchen. „Vier oder fünf? Wieviele?“, brüllt Frank Schulz aufgeregt seinem Torhüter zu. Dem Frankfurter Mittelfeldspieler (der mit dem lichtem Haar) ist die innere Spannung anzusehen, sein Gesicht ist verzerrt. Das Pokalfinale geht ihm an die Nieren. „Fünf“, schreit Uli zurück. Und nach einer Handbewegung zum rechten Ohr hin, die offensichtich bedeuten soll, daß Steins Anweisungen zur Bildung einer menschlichen Mauer nicht verstanden wurden, hebt der Mann, der Franz Beckenbauer als „Suppenkasper“ bezeichnete, den Arm und spreizt sämtliche Finger der rechten Hand. Schulz nickt, hat kapiert, und sucht sich vier Kollegen - man merkt, hier sind Profis am Werk. Das gehört zur Arbeit, wie das Winken in Richtung Fans.

Hinter dem Tor der Frankfurter formieren sich die Fotografen, bestimmt 30 an der Zahl. Ein paar Meter weiter stehen die Fans der Eintracht. Transparente werden hochgehalten: „Jesus lebt“ ist dicht neben dem faschistoiden „Front Frankfurt“ plaziert. Der Block ist still, voll gespannter Aufmerksamkeit. Alle warten auf den Freistoß der Maus aus Bochum. Nur die behelmten und irgendwie provozierenden Polizisten nicht. Sie haben lediglich ein Auge für die gefährlich aussehenden, aber momentan ob der Gefahr eines möglichen Gegentreffers beunruhigten Skinheads aus der Main-Metropole.

Der Schiedsrichter pfeift. Ein Bochumer legt den Ball vor. Ein anderer will schießen, sechs Frankfurter Beine schnellen dazwischen und klären zu einem Eckball. Stein schüttelt den Kopf: „Das kann nicht wahr sein. Beinahe wäre hier Scheiße passiert. Paßt besser auf!“ Die Szene spielte sich in der 20. Minute des Pokal-Endspiels ab. Der einzige Moment, an dem Uli Stein nicht völlig auf der Höhe des Geschehens war. Ansonsten war sein Arbeitstag ruhig und beschaulich.

Später, als alle Spannung gewichen ist, steht Stein mit dem Pokal in der Hand und kann es sich nicht verkneifen, das Metall zu küssen. „Uuuli“, brüllt das Stadion und der Held säuft Sekt. Uli Stein hat den Pott verteidigt. „Schöne Grüße nach Hamburg!“, Steins befreiender Schrei geht in der Menge unter...Holger Schacht (Siehe auch Seite 10)

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