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MAMA MERCEDES

■ Ein Abend, drei Stimmen: Wecker, Sosa, Baez

MAMA MERCEDES

Ein Abend, drei Stimmen: Wecker, Sosa, Baez

Manchmal spiele ich Glücksfee: Wenn ich zwei Karten für ein Konzert habe und mich alle meine Freunde nur fassungslos anstarren, warum ich da jetzt auch noch hingehen muß. Ich suche mir einen mittellosen Fan vor dem Eingang aus, schenke ihm die Karte und freue mich über sein glückliches Gesicht, das mich immer an Weihnachten erinnert, als ich noch klein war. Gestern vor der Waldbühne stand niemand, der nicht schon eine Karte gehabt hätte, keine mittellosen Fans, stattdessen der Mittelstand selber. Das Publikum war gerade so, wie es zu dieser Veranstaltung zu erwarten war. Ungefähr 6.000 zuvorderst friedens- und auch sonst bewegte Menschen strömten zusammen, klar waren auch einige Revolutionsveteranen aus den späten 60ern darunter. Schließlich war ja „remember“ angesagt. Joan Baez war ja schon bei der guten Sache dabei, als ich noch im Sandkasten buddelte. Und Mercedes Sosa gilt unsere Solidarität ohnehin, denn sie wurde wegen ihrer Lieder politisch verfolgt und durfte zwar keine Revolution, aber immerhin eine Demokratisierung erleben - in Argentinien, ihrem Heimatland. Sie hat das hautnah in der Dritten Welt miterlebt, wofür wir hier immer nur spenden durften und kommitieren. Konstantin Wecker kriegt den quasi Verfolgten-Bonus, weil er aus Bayern kommt - das reicht heute schon. So kann man sich fühlen wie auf dem Festival des Politischen Liedes, Ausgabe West, aber der Osten ist selbstverständlich auch vertreten durch einen Herrn mit grauen Haaren von der VEB-Popmusik. Mercedes Sosa singt die Klassiker des ausgebeuteten Kontinents Südamerika, das Publikum erkennt die Melodie und klatscht mit, daß mir die eiskalten Schauer über den Rükken laufen. So klang's immer im Nicaragua-Komitee - oder war es Chile? Egal, Erinnerungen sollen in letzter Zeit ja einen Werteaufschwung erfahren haben, lassen wir sie raus. Lassen wir sie klatschen, konzentrieren uns auf Mercedes Sosa. In ihrer Stimme findet sich das gesammelte Elend Argentiniens - oder vielleicht der ganzen Welt? Aber sie plärrt es nicht jammernd heraus, verwandelt es vielmehr in Energie. Erfahrung und Menschlichkeit - das klingt so abgedroschen, aber sie hat beides. Ihre Persönlichkeit verlangt einfach Respekt - von jedem anständigen Menschen. Geradezu unanständig erscheinen da schon Gedanken, man möchte sich an ihrer Brust mal so richtig ausheulen - über das ganze Elend, hier und anderswo und überhaupt. Bei ihr muß man sich einfach geborgen fühlen, sonst stimmt die Welt nicht mehr, in der sie steht wie ein Fels in Zeit und Raum. Wenn ich mir meine Mutter nochmal aussuchen könnte, sie wäre eine der Top -Kandidatinnen. Dafür würde ich auch Konstantin Wecker in Kauf nehmen, mit dem ich dann zwangsläufig zu tun hätte, denn die beiden arbeiten viel zusammen, wie ich mir erzählen ließ. Was man sich sonst noch so über Wecker und die Frauen erzählt, soll hier mal außen vor bleiben, es war ja nicht die „Mister Universum„-Wahl, sondern ein Konzert. Konstantins Lieder sind auch politisch: „Jagdzeit in Bayern“ und „Dein Nachbar, der Richter“. Die Leute jubeln, ich bleibe sprachlos, denn mir klingt das oft überambitioniert. Aber in Bayern sind die Verhältnisse ja anders. Dann also lieber der liebende Wecker, das klingt echter, und mich meint er nicht mit seinen Versen der Leidenschaft. Obwohl er auch an die Homosexuellen denkt, gegen Gauweiler und Maßnahmenkataloge weckert, und er vergißt auch nicht die Lesben und Schwulen in England. Man merkt: AIDS hat auch sein Leben verändert, wie er in einem Interview sagte. Jetzt bin ich nur noch gespannt, was Frau Beaz vorzutragen hat, weil sie ja auch nicht mehr so tun kann, als sei die Zeit spurlos an ihr vorbeigegangen. Das allerdings verhindert der einsetzende Wolkenbruch über der Waldbühne, und ich als Autofahrer habe keinen Regenschirm dabei. Sie ist aber auch im Trockenen zu sehen - nämlich zu Hause in der Flimmerkiste und wie alle gegen AIDS. Da singen alle drei zusammen und als einzige der Sendung live - Frau Baez in Ehren ergraut. Sie haben zumindest Format in diesem Spektakel. Ich muß Wecker und Baez nicht mögen, aber Geschwister kann man sich ebensowenig aussuchen wie Mütter.Lutz Ehrlich

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