: MANN MIT TOTENKOPF
■ Screamin Jay Hawkins zelebriert seine eigene Legende im Metropol
MANN MIT TOTENKOPF
Screamin'Jay Hawkins zelebriert seine eigene Legende im
Metropol
Ein Mann, ein Wort. Ein Mann, ein Schrei. Ein Mann und sein Totenkopf. Ein Mann und die Schmierenkomödie.
Screamin'Jay Hawkins ist 60 Jahre alt, und jeder weiß, daß kleine Kinder und alte Leute die Wahrheit sagen: „Don't fight, make love! Don't fuzz, make love! Don't argue, make love!“ Auch wenn sie zugegebenermaßen etwas platt sind, seine Wahrheiten. Also mit den Wörtern hat er's nicht so. Wichtige Weisheiten, die über die elementaren Grundbedürfnisse Saufen, Vögeln und Voodoo hinausgehen, erfährt man nicht. Kein Philosoph, der Mann, eher schon Pragmatiker.
Screamin'Jay Hawkins ist 60 Jahre alt und hat den Splatter -Blues erfunden, damals, als „I put a spell on you“, obschon das wildeste Gestöhne und Gekreische rausgemischt wurde, einen Skandal verursachte. Wenn er die Augen aufreißt, ein tiefes 'Oh‘ intoniert, das Publikum antworten läßt, ein noch tieferes 'Oh‘ mit dieser Gruselstimme in die tiefsten Tiefen all deiner Alpträume schickt und wenn er schließlich, am Rand der Bühne stehend, jeden einzelnen in den ersten Reihen mit blutrünstig rötlichem Augenweiß fixiert, dann duckt sich jeder, wird ein Stück kleiner und wagt nicht zu grinsen, denn Screamin‘ Jay könnte hinterher vielleicht eine von diesen kleinen Puppen basteln und sie nach dir benennen.
Screamin'Jay Hawkins singt „I put a spell on you“, und die Halle kreischt bei den ersten Tönen, aber nicht weil er den Takt mit einem durch einen Totenschädel gebohrten und mit allerlei obskurem Voodoo-Krimskrams behängtem Stock schlägt oder das Kinderschändertimbre in seiner Stimme ihnen die Nackenhaare aufstellt. Nein, die Halle kreischt, weil sie das Lied wenigstens kennen, weil sie alle in „Stranger than paradise“ waren und auch so aussehen, als ob sie solche Filme gut finden und einen sympathischen, alten Schmierenkomödianten zum Kreischen. Heutzutage kann er natürlich niemanden erschrecken - außer vielleicht Hausfrauen oder BWL-Studenten -, der eine Vorschau auf „Texas Chainsaw Massacre“ gesehen hat. Aber im Gegensatz zu seinem Publikum weiß er, daß ein 60jähriger und seine Voodoo -Tour einen nicht mehr in die Hose scheissen lassen, und deshalb verarscht er sie, indem er am Ende von „I put a spell on you“ die letzten Zeilen operettenmäßig trällert und damit all die Anzüglichkeit, die dieses Lied einmal hatte, parodierend in dicken, roten, völlig unpassenden Plüsch einpackt.
Screamin'Jay Hawkins ist 60 Jahre alt und alt genug, seine eigene Legende zu zelebrieren, zwischen öligem Schieber -Rhythm'n'Blues und monoton langsamem Killer-Blues, nicht ohne den Leuten klar zu machen, daß er sich darüber im klaren ist. Er weiß, daß die Leute kommen, um einen 60jährigen Neger verrückt spielen zu sehen und sagt ihnen das. Und wegen der schönen Frauen natürlich grient er und rollt seine Augen in Richtung eines auserkorenen Exemplars.
Screamin'Jay Hawkins ist 60 Jahre alt,(ja, ja, ich glaub es ja! die k.) trägt peinlich grünkarierte Anzüge, eine Kette mit einem Monstrum von Ich-weiß-nicht-von-welchem-Tier -Zahn um den Hals, den besten Schnurrbart, den ich je gesehen habe, und ich wär mir nicht sicher, ob er nicht doch vielleicht kleine Püppchen bastelt in seiner Freizeit.Thomas Winkler
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