: Hoffen auf weltweite Perestroika
■ Amerikanische Öffentlichkeit unterstützt Verhandlungen zwischen den Supermächten / Bürokraten auch in USA und der Bundesrepublik aus ihren Verwaltungssesseln jagen
Hoffen auf weltweite Perestroika
Amerikanische Öffentlichkeit unterstützt Verhandlungen
zwischen den Supermächten / Bürokraten auch in USA und der Bundesrepublik aus ihren Verwaltungssesseln jagen
Von Norman Birnbaum
Washington (taz) - In der Sowjetunion hat Reagan wenigstens gezeigt, daß er ein Feminist ist. Sein Tribut an die sowjetischen Frauen während der Pressekonferenz zum Abschluß des Gipfels in Moskau ließ viele Amerikanerinnen vor Neid erblassen. In Moskau unterstützte er natürlich auch Glasnost und Perestroika. Aber der spannenste Moment des ganzen Gipfels kam, als Reagan am Grabe Lenins offiziell seine Phrase vom „Reich des Bösen“ beerdigte.
Zur selben Zeit verschaffte das US-Fernsehen dem amerikanischen TV-Volk Einblicke in den Veränderungsprozeß der sowjetischen Gesellschaft. Was diskutieren die sowjetischen Bürger? Natürlich das gleiche wie die meisten Amerikaner: Hat die neue Offenheit in der Sowjetunion eine Zukunft? Werden die Supermächte den Abrüstungsprozeß und die Zusammenarbeit in anderen Bereichen fortsetzen?
Allerdings haben die Erklärungen des Präsidenten in Moskau auch das momentane Durcheinander in der amerikanischen Rechten verstärkt. Keinesfalls sind davon nur Reagans eigene Parteifreunde, die Republikaner, betroffen. Auch viele außenpolitisch konservative Demokraten sind in Aufruhr. Die amerikanische Öffentlichkeit hingegen unterstützt schon seit einiger Zeit die Verhandlungen zwischen den Supermächten. Auch stößt das globale Hegemoniestreben der amerikanischen Elite immer mehr auf Skepsis. Gleichzeitig sind sich die Amerikaner aber nicht sicher, ob sie Gorbatschow und überhaupt den Sowjets trauen können. Daß nun gerade der reaktionärste Präsident der USA dieses Jahrhunderts die Unterstützung des Generalsekretärs zu unserer Politik erklärt, hinterläßt einen großen Eindruck: Kein Zweifel, der „Kalte Krieg“ ist zu Ende.
Der alternde Schauspieler hat rechtzeitig wahrgenommen, daß ein großer Teil der amerikanischen Wirtschaftselite sich den drängenden innenpolitischen Problemen zuwenden will. Der Erfolg der Jackson-Kampagne hat sie wachgeschüttelt. Auf große Popularität bei Wahlkampfveranstaltungen stieß die Frage des schwarzen Präsidentschaftskandidaten, wer einen ausländischen Videorecorder besitzt: Alle. Dann fragte er, wer eine in den USA produzierte Boden-Luft-Raktete besitzt. Niemand. Daran kann man sehen, schloß Jackson, daß wir Dinge produzieren, die niemand will. Das weiß jetzt auch der Präsident.
Trotzdem gelang es den amerikanischen Aparatschkis in Reagans Troß, ernsthafte Vereinbarungen über die Reduzierung der Langstreckenraketen zu verzögern. Das sowjetische Angebot, die konventionellen Streitkräfte beider Militärpakte zu verringern, wurde abgelehnt - mit der scheinheiligen Begründung, daß die Menschenrechtsdiskussion Vorrang hätte. Eine wirkliche Truppenreduzierung käme natürlich den Leuten ungelegen, die seit Jahren die angebliche Übermacht der sowjetischen Streitkräfte zum Vorwand für eigene Aufrüstungspläne nehmen. Nicht zufällig schrieb ein prominenter Diener der Macht, Dr. Hans Ruehle vom Bonner Rüstungsministerium im Magazin 'Die Zeit‘ einen Artikel, der sich wie eine Karikatur der derzeitigen Verhältnisse liest. Er warnt vor einer Reduzierung der Waffensysteme und Truppen, verleumdet Kritiker offizieller Rüstungsstatistiken und beklagt die schädliche Einflußnahme der öffentlichen Diskussion auf Entscheidungen, die besser Experten wie ihm überlassen bleiben sollten. Bürokraten aller Länder, vereinigt euch, ihr habt nichts zu verlieren außer euren Jobs! Gorbatschow hat bereits viele, bei weitem aber nicht alle Gegner seiner aufgeklärten Politik aus ihren Verwaltungssesseln gejagt. Jetzt ist es an der Zeit, das auch in den USA und im Westen zu machen. Professor N.Birnbaum ist Experte für Ost-West-Fragen
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