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Grüne verschwinden im "Betonsarg"

■ Realo-Grüne ziehen verheerende Bilanz der Lage ihrer Partei / Verwesungsgeruch macht sich breit / Fischer, Kleinert und Knapp wird Amoklauf im Strömungsstreit vorgeworfen

Grüne verschwinden im „Betonsarg“

Realo-Grüne ziehen verheerende Bilanz der Lage ihrer Partei / „Verwesungsgeruch“ macht sich breit / Fischer, Kleinert

und Knapp wird Amoklauf im Strömungsstreit vorgeworfen

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Zwei Wochen vor dem Perspektivkongress der Grünen präsentierten sich die RealpolitikerInnen auf einem bundesweiten Treffen gestern in einem desolaten und zerstrittenen Zustand. Prominenten Realos wie Joschka Fischer, Udo Knapp und Hubert Kleinert wurde auf der rund 70köpfigen Versammlung in Bonn vorgeworfen, sie würden nur noch mit einem „Amoklauf“ im Strömungsstreit agieren, die reformpolitische Überzeugungsarbeit in der Partei vernächlässigen und sich nicht damit auseinandersetzen, warum Realo-Positionen innerhalb der Grünen nicht mehrheitsfähig seien. Hendrik Auhagen (Baden-Württemberg): „Wenn jetzt eine Abstimmung wäre, hätten wir wenig mehr als das Fundi-Lager.“ Die Frankfurterin Annette Mühlberg: „Realpolitik beschränkt sich auf die andauernde Abgrenzung vom Sektierertum, anstatt den Fundis inhaltlich entgegenzutreten.“ Prominente wie Christa Vennegerts würden lieber nach China reisen als sich auf der eigenen Landesversammlung Rückendeckung zu holen, klagte Fritz Kuhn und forderte „demokratische Strukturen“ bei den Realos. Über Hubert Kleinerts Position vom „ökologischen Kapitalismus“ sagte Dietrich Wetzel, nun müsse man sich auch noch „Schwachsinn unserer eigenen Leute“ auseinandersetzen.

Die Führungsriege der Realos plädierte dagegen für einen Kurs der harten Konfrontation gegenüber den Fundamentalisten. Angesichts des „Verwesungsgeruchs“, der von der Grünen ausgehe, habe man, so Kleinert keine Zeit mehr für Strukturreformen, Handwerkelei und Zugeständnisse.“ Fischer nannte den Flügelkampf einen „Betonsarg“ in dem inhaltliche Diskussionen begraben würden. Für eine zweite Phase der Parteigründung, „die allen, die an einer reformpolitischen Orientierung nicht mitarbeiten wollen, die Möglichkeit gibt, uns zu verlassen“, plädierte Udo Knapp. Mit denen, die „hinter den Gewerkschaften herlaufen“ würden, sollten keine Kompromisse mehr gesucht werden.

Ein eigenes Manifest der Realos, an dem Knapp'Kleinert, Fischer und Jo Müller gearbeitet haben, wurde der eigenen Strömung erst gestern vorgelegt.Als Ausweg aus der Krise der Grünen wird darin empfohlenen, sich für die „neuen Mittelschichten“ zu öffnen. Die Entwicklung „ökonomischer Mischsysteme“ müsse wesentlicher Auftrag grüner Politik sein sowie konsensfähige Vorschläge zur Sozialreform über die Parteigrenzen hinweg. In der Partei soll die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben werden.

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