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"DIE KULTURMEILE"

■ Zwischen Martin-Gropius-Bau und Bauhaus-Archiv

„DIE KULTURMEILE“

Zwischen Martin-Gropius-Bau und Bauhaus-Archiv

Kulturell orientierte Sightseeing-Unternehmen haben Hochkonjunktur: Seit einiger Zeit gibt es sogar schon einen bildenden Stadtführer-Service auf Walkman-Basis. Minimaler Personalaufwand, karge Kosten, automatische Bedienung des Publikums, das nur noch die Beine und gegebenenfalls das Gehirn in Bewegung setzen muß - ein Unternehmen, das im Trend der Zeit liegt.

Eine Stadtführerfirma der liebenswert altmodischen Art ist „Stattreisen e.V.“, ansässig in Moabit. Dieses Frühjahr veranstaltet das Unternehmen Bildungsspaziergänge unter dem Titel „Die Kulturmeile“. Bildungsspaziergang ist hier ganz unironisch gemeint: Der etwa dreistündige Gang vom Martin-Gropius-Bau bis zum Bauhaus-Archiv hat nichts mit den gefürchteten Sonntags-Ausflügen zu tun, die von Eltern genutzt werden, um ihren Kindern ausnahmsweise Fragmente einer notdürftigen Bildung einzuzwingen.

Die „Kulturmeile“, an der ich teilnahm, wurde von einer überaus belesenen, rhetorisch wohltrainierten und zudem noch gutgelaunten jungen Dame geleitet. Zu fast allen Bauwerken, Plätzen, noch vorhandenen oder ehemaligen Straßenverläufen wußte sie Historisches zu referieren, Anekdoten und Querverweise zu liefern - die vielen Spuren des Hitlerfaschismus reizten sie zu präzisen, von leiser Wut begleiteten historischen Exkursen.

Am Martin-Gropius-Bau beginnt der Gang, um 11 Uhr morgens. Selbstverständlich wird alles Entscheidende zur Geschichte des Hauses erzählt - dazu resümiert die Anführerin, nach welchem ungewöhnlichen Verfahren der Bau restauriert wurde. Die Vorgeschichte des Baus gibt die Erzählerin knapp und konzentriert wieder. Interessanter wird es, wenn von der ideologischen Mit-Nutzung der vermeintlichen Museen durch die Nazis die Rede ist (so war z.B. der Kustos des Museums für Vor- und Frühgeschichte, Alexander Langsdorff, Angehöriger im persönlichen Stab des „Reichsführers der SS“, Heinrich Himmler).

Die Mixtur aus architekturgeschichtlichen Überblicken und politischen Hintergrundinformationen wird im weiteren Verlauf des Ganges durch Beschreibungen, durch Imaginationen über ganze städtebauliche Arrangements ergänzt. Der Potsdamer Platz, einst der verkehrsreichste Platz Europas, heute ein Dokument städtebaulicher Ratlosigkeit, eine Platz -Ruine. (Das könne der Potsdamer Platz nicht sein, er kenne den doch ganz genau, sagt der fast 90jährige Curt Bois in einer Szene von Wenders „Himmel über Berlin“). Am Beispiel Philharmonie und Staatsbibliothek wird die Bedeutung des genialen Architekten Hans Scharoun resümiert. Fast überleitungslos ist natürlich von Bauskandalen die Rede von dem, was aus Scharouns Konzeption des Kammermusiksaals wurde, von den Wettbewerbs-Rattenrennen zwischen Architekten betreffend der weiteren Ausgestaltung des „Kulturforums“, von der bekannten Unfähigkeit verantwortlicher Politiker. Ein Blick von einer Außentreppe der Staatsbibliothek macht das Ausmaß der verkorksten Planung auch sinnlich erfahrbar, von erhöhtem Standpunkt aus.

Die Gedenkstätte für die Widerstandskämpfer des 20.Juli 1944, das Bewag-Gebäude (erbaut 1930-32 im Stil der „Neuen Sachlichkeit“, die Botschaftsgebäude, das Richard-Wagner -Denkmal, das „Weinhaus Huth“, die „Villa von der Heydt“: Überall sind noch Spuren des früheren Berlin zu sehen; und wo sie verschwunden sind, beschwört sie die Stattführerin mit historischen Fakten und originellen Abschweifungen. Wenn sie Fragen aus dem Publikum nicht zu beantworten weiß, sagt sie: „Da müßte ich nachlesen.“ Einmal sagt ein älterer Teilnehmer des Ganges plötzlich: „Da drüben, da stand das Postamt, da habe ich als zehnjähriger noch Briefmarken gekauft.“ Da starren einen Moment lang alle in die Ödnis und versuchen, sich ein nicht mehr vorhandendes Postamt vorzustellen.Klaus Nothnagel

Die Kulturmeile, mittwochs, samstags, sonntags (bis 17.7.), jeweils 11 Uhr, Start vor dem Martin-Gropius-Bau.

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