: Gewalt von Staat und Freiern
■ Vor 13 Jahren wehrten sich Prostituierte in Lyon erstmals mit öffentlichen Aktionen gegen Diskriminierung
Gewalt von Staat und Freiern
Vor 13 Jahren wehrten sich Prostituierte in Lyon erstmals
mit öffentlichen Aktionen gegen Diskriminierung
„Wir sind von ganzem Herzen bei euch, macht weiter“, so und ähnlich lauteten die Telegramme, die aus allen Teilen Frankreichs in den Tagen nach dem 2.Juni 1975 in der Kirche Saint-Nizier in Lyon eintrafen. Absenderinnen waren Prostituierte, und die solidarischen Worte galten ihren 150 Kolleginnen, die am frühen Morgen dieses Tages das Gotteshaus besetzt hatten. „Wir sind ebenso verantwortungsbewußt und würdevoll wie entschlossen.“ Die Besetzerinnen richteten sich ein mit warmer Kleidung, Schlafsäcken und Konservendosen, unterstützt vom Pfarrer der Gemeinde und versorgt von den Kirchenbesuchern.
Mit dieser spektakulären Aktion setzten die Frauen von Lyon einen vorläufigen Schlußpunkt hinter die Jahre zunehmender Repression und Diskriminierung. Seit geraumer Zeit häuften sich die Morde an Huren, deren Täter nicht gefunden wurden. Im gleichen Zeitraum nahm die Polizeigewalt gegen die Frauen zu: Unter dem Vorwand des „Kampfs gegen die Zuhältersyndikate“ wurden sie verfolgt und verhaftet. Bußgelder wurden immer häufiger kassiert, allein wenn eine als Prostituierte der Polizei bekannte Frau an einem öffentlichen Ort auftauchte, konnte sie zur Kasse gebeten werden. „Zur Unzucht aufforderndes Verhalten“ heißt das Delikt. Die Frauen durften nicht mehr in Hotels arbeiten, und wenn sie sich zusammen eine Wohnung mieteten, wurden sie wegen illegaler Kuppelei strafrechtlich verfolgt. Sie erhielten Zutrittsverbote für die Bars der Stadt und auf der Straße waren sie weder vor den Übergriffen der Polizei noch der gewalttätiger Freier sicher. 1974 schlossen sich Prostituierte mit Anwälten und Journalisten zusammen, forderten mehr Sicherheit für die arbeitenden Frauen und sagten den Bußgeldern, Vorladungen und Verhaftungen den Kampf an. Die Polizei antwortet mit noch schärferen Maßnahmen, die Bußgelder wurden erhöht und den Frauen Steuerbescheide für einige Jahre rückwirkend zugestellt.
Als eine Woche nach der Besetzung von Lyon auch die Huren von Paris damit drohten, Kirchen zu besetzen, griff die Staatsmacht zur offenen Gewalt. Die besetzten Kirchen in Lyon und den anderen Städten wurden gewaltsam geräumt. In Paris gründeten die Frauen daraufhin das Internationale Komitee Prostitution, dem auch Simone de Beauvoir angehörte. Die erste Nationalversammlung der Prostituierten legte im November 1975 neue Vorschläge für Gesetze vor, die den Frauen mehr Rechte und Sicherheit bei der Ausübung ihres Berufs gewährleisten sollen.Elmar Kraushaar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen