: FRUST STATT FREUDE
■ In der Tanzwerkstatt Berlin können viele nicht mitspielen
FRUST STATT FREUDE
In der Tanzwerkstatt Berlin können viele nicht mitspielen
Anreise, Probe, Bühnenauftritt, Auftritt, Abreise - so sah und sieht meist der Alltag geladener Tanzcompagnien auf einem Festival aus. Selten bleibt Choreographen und Tänzern die Zeit, ihre Kollegen bei Auftritten und Proben kennenzulernen, geschweige denn miteinander zu arbeiten. Diesen geradezu absurden Zustand des Nacheinander-über-die -Bühne-Hastens zu verbessern, ist eines der Ziele der Tanzwerkstatt, die im „Kulturstadt„-Jahr 1988 in Berlin mit einem Etat von 1,2 Mio. möglich wurde. Die Compagnien sind nicht nur für die Zeit ihres Auftrittes eingeladen, sondern für den längeren Zeitraum der Werkstatt. Sie sollen sich nicht nur auf der Bühne sehen, sondern auch in ihren Trainingsmethoden und thematischen Entwicklungen erleben.
Zweites Ziel der Tanzwerkstatt ist, mit ihrem Programm eine Verbesserung der Berliner Tanzstruktur anzuregen. Im Vergleich zu den USA, Frankreich und Italien wird der Förderung einer eigenständigen Tanzkultur in Berlin wenig Aufmerksamkeit und Unterstützung zuteil.
Ein Teil der Proben und der Trainingsstunden der Compagnien ist öffentlich. Lehrer der Contact Improvisation, einer lebendigen und sich ständig verändernden Sprache des Körpers, treffen sich und werden in einem Performance -Marathon ihre Arbeit vorstellen. Drei Workshops zur Tanzkultur der Renaissance und des Barock werden angeboten. Spannender Höhepunkt der Möglichkeiten des Austauschs aber werden die vier Performance-Projekte sein unter der Leitung von Choreographen aus London, Paris, USA und Barcelona: morgens werden die Teilnehmer zusammen trainieren und nachmittags an einem Stück arbeiten.
Gerade an diesen Performance -Projekten entzündete sich der Ärger der freien Berliner Tanzszene über die Werkstatt -Organisation, in der mit Nele Hertling, der künstlerischen Leiterin, die Tanzfabrik und L'Autre Pas für den historischen Teil zusammengearbeitet haben. Viele Berliner Tänzer, Tanzlehrer und -studenten - z.B. Regina Baumgart mit ihrer Ausbildungsklasse vom Centralpark Tanzstudio bewarben sich für die Performance-Projekte und erhielten keine Zusagen. Daß die Performance-Projekte mehr als Erfahrungsaustausch für die Choreographen denn als Workshop für die Berliner Tanzszene konzipiert waren, ging aus den Informationen der Faltblätter schlecht hervor. Ein Großteil der 60 Plätze war den Gästen aus geladenen Compagnien vorbehalten und - zum Ärger der übrigen - Freunden der Tanzfabrik; nur zehn Plätze wurden noch an andere Tänzer in Berlin vergeben. Die Tanzfabrik, die ihre privilegierte Stellung in der Organisation nutzte, ist nun für die übrigen der böse Wolf.
Bis zum Schluß hatten die Organisatoren Probleme, in Berlin genügend Studios und Räume zu finden. Informationen über den Ablauf der Werkstatt, Bewerbungsmöglichkeiten und Ziele waren nicht leicht zu durchschauen, und dies trug auch zu Mißverständnissen bei. Die finanziellen Mittel und Raumkapazitäten erlaubten nicht, zugleich ein Austausch -Programm für die fremden Compagnien einzurichten und Workshops bei der Prominenz für die Berliner Tanzszene. Da die Werkstatt aber dennoch die Verbesserung der Berliner Tanzkultur als Ziel behielt, entschloß man sich zu Kompromissen, die gemessen am Tanzhunger und Erfahrungsbedarf der Stadt ungenügend sind.
Aber nicht zuletzt der Ärger über die Tanzwerkstatt war Anlaß für freie Tanzgruppen und Performancekünstler in Berlin, sich in einem Verein zusammenzuschließen, um gemeinsam für ihre Interessen einzutreten.Katrin Bettina Müller
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