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TRIUMPH DER KOPIE

■ Die 'Grabkammer des Sen-nefer– in einer Kopie von Kodak im Ägyptischen Museum

TRIUMPH DER KOPIE

Die 'Grabkammer des Sen-nefer‘ in einer Kopie von Kodak im Ägyptischen Museum

„So hat man vor kurzem die gesamte Wissenschaft und Technik mobilisiert, um die Mumie von Ramses II zu retten, nachdem man sie einige Jahrzehnte zuvor im hintersten Winkel eines Museums hat verfaulen lassen. Bei der Vorstellung, nicht retten zu können, was die symbolische Ordnung während 40 Jahrhunderten zu konservieren wußte - allerdings dem Licht und dem Blick entzogen -, wird das Abendland plötzlich von Panik ergriffen. Ramses hat für uns heute keine Bedeutung mehr, nur die Mumie ist von unschätzbarem Wert, denn sie ist der Garant für den Sinn der Akkumulation. Unsere gesamte lineare und akkumulative Kultur bricht zusammen, wenn sich die Vergangenheit nicht für alle sichtbar speichern läßt.“ (Jean Baudrillard in 'Agonie des Realen‘, erschienen bei Merve)

Keine Mumie zwar, aber ein anderes Beuteobjekt der Wissenschaft, dessen sichtbare Speicherung nun gesichert ist, zeigt dasBerliner Ägyptische Museum in einer Sonder -Ausstellung: die Grabkammer des Sen-nefer, Bürgermeister in Theben im 15. Jahrhundert vor Christus. Ausgestellt wird nicht das Original, das an Ort und Stelle verbleibt und unter den vor allem touristischen Besucherströmen in seiner Substanz leidet, sondern eine von Kodak hergestellte fotografische Kopie. In ihr ist der Zustand des Grabes im Jahr der Aufnahme dokumentiert und unveränderbar festgehalten, während die originalen Wandbemalungen weiter abblättern und bröckeln und Staubschichten die Leuchtkraft der Farben verdecken. Für diese Dokumentation entwickelte Kodak-Pathe in Paris zusammen mit Wissenschaftlern des Louvre eine besondere Technik, die zukünftig bei gefährdeten Kunststätten häufiger eingesetzt werden soll, um das Original zu schonen und doch in der Kopie das Werk zugänglich zu repräsentieren. Eine auf Theaterkulissen spezialisierte Werkstatt baute die aus dem Felsen gehauene Kammer in ihren originalen Abmessungen aus Polystyrenplatten nach und modellierte die unregelmäßige und rauhe Oberfläche. Die fotografischen Reproduktionen wurden darauf wie Abziehbilder angebracht, denen man nicht mehr ansieht, daß es Fotografien sind.

Nicht nur für die Firma Kodak, die sich weitere Kulturaufträge erhofft, war die Arbeit an der Grabkammer ein wirtschaftlich erfolgreiches Projekt. Das Peliaeus-Museum in Hildesheim bestellte die 2. Kopie des Grabes, die sie jetzt für ein halbes Jahr nach Berlin ausgeliehen haben. Die Kosten für diese Kopie spielten die Hildesheimer mit einer Ausstellung altägyptischer Kunst wieder ein, die in Rudimenten in verschiedenen Museen verstreute Objekte erstmals wieder zusammenfügte und zu der eine Viertelmillion Besucher kamen. In einer Stadt mit knapp 100.000 Einwohnern wie Hildesheim gewinnt ein Museum damit eine neue Bedeutung als wirtschaftlicher Faktor.

In der kleinen Berliner Sonder-Ausstellung sucht man vergebens nach einer Dokumentation über die nur wenige Jahrhunderte alte Geschichte der Entdeckung, Plünderung und Zerstörung der Jahrtausende alten ägyptischen Kultur. Der europäische Kunstimperialismus, der früher ungehindert Kunstraub trieb, muß sich heute angesichts veränderter politischer und rechtlicher Sensibilität andere Methoden suchen. Kopien als Ersatz für originale Kunstwerke, die als koloniale Beute in die Museen nach London, Paris oder Berlin gelangten und deren Ruhm begründeten, wurden häufig den beraubten Nationen als Trostpflaster angeboten. Die Industriestaaten brüsteten sich dabei noch mit ihrem technischen Know-how in der Rekonstruktion und legitimieren ihren Besitzanspruch mit der besseren Pflege der Werke. Sie erklären sie zum allgemeinen Erbe der Menschheit und ernennen sich selbst zu deren Verwalter.

Jetzt in Kopien verfügbar zu machen, was im Ursprungsland verbleiben muß, ist eine neue Form der Bereicherung. Das museale Abbild von der Geschichte der Menschheit kann damit überall vervollständigt werden. Das Grab des Sen-nefer ist nun schon dreifach zu besichtigen: immer noch das Original an den Ufern des Nils und in zwei Kopien, die leicht transportabel durch Ausstellungen wandern.

Die mythische Funktion der Grabkammer des Sen-nefer wurde schon im Augenblick ihrer Entdeckung und Öffnung zerstört. Die Kammer lag unterirdisch und bildete den geheimen Teil des Grabes; vom oberirdischen und öffentlich zugänglichen Teil der Anlage mit Darstellungen aus dem Leben des Bürgermeisters bestehen nur noch Ruinen. Die verborgene, Licht und Blicken verschlossene Kammer war den Jenseitsvorstellungen vorbehalten. In ihr überwand der Grabherr den Tod. Ob allerdings die Mumie Sen-nefers wirklich in seiner Grabkammer beigesetzt wurde, ist zweifelhaft, und es wird angenommen, daß der Bürgermeister eine Vergünstigung des Königs Amenphis II wahrnahm und sich in dessen Nähe bestatten ließ.

Die Grabkammer aber war vorbereitet als „Haus der Ewigkeit“. Kunsthistorisch stellt sie eine Sensation dar, weil nur wenige Gräber aus der Zeit so ausführlich mit einem dichten Bildertext ausgestattet waren. Selbst die steinerne Decke ist mit symbolischen und ornamentalen Motiven bemalt, die die Illusion von einer Weinlaube und einem im Luftzug bewegten Stoffbaldachin erwecken.

Auf den Bildern der Wände und Pfeiler sieht man immer wieder einen Mann und eine Frau - Sen-nefer und seine Geliebte oder Ehefrau Merit - die in ihren festgefügten Konturen und anmutigen, im Profil festgehaltenen Gesten so klar und gegenwärtig wirken, daß man leicht der Täuschung verfällt, man könne diese Bildergeschichte entschlüsseln wie einen Comic von heute. Sie lesen sich wie liebevolle Szenen des Alltags eines Paares. Ein langer Zug von Lastenträgern reiht sich zum Figurenfries; von einer Reise in Booten sind nur Fragmente erhalten. Aber erst die Übersetzung der symbolischen Gaben, die Merit Sen-nefer reicht, und der Bilderschrift, die die Szenen einrahmt, läßt verstehen, daß in ihnen die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits überschritten wird. Sie schildern das Begräbnis, die Grabbeigaben für das Leben im Jenseits, die Balsamierungsrituale, die den Leib des Gestorbenen vorbereiten, die Pilgerfahrten zu den Göttern und die Wiedergeburt des Grabherrn. In ihnen verschmilzt das Erleben Sen-nefers mit der mythischen Geschichte der ägyptischen Götter. Indem die Bilder den Weg der Wiedergeburt vorzeichnen, ebnen und öffnen sie ihn für den Grabherrn. Die Nicht-Sichtbarkeit der Kammer bedeutete, daß in ihr das Geschehen der Bilder als Realität galt. Ihre Öffnung zerstört den Kult. Die Rituale werden für nicht wirklich und zu bloßen Bildern erklärt; darin triumphiert die Wissenschaft über den Mythos. Das zum bloßen Abbild-Werden in der Reproduktion setzt den Prozeß der Profanisierung fort.

Es riecht nach Kunststoff in der Polystyren-Kammer, und man läuft über Teppichboden. Fetzen der Ton-Dia-Schau nebenan tönen herüber. Wenigstens ist die Illusion unvollständig, und man fühlt sich mehr wie in einer Jahrmarktsbude. Das Staunen vor der Schönheit und Vollendung der Bilder bleibt eine Wunschvorstellung, der man sich nur mühsam nähert. Man sucht in der Kopie nach zerstörten Stellen, um sich von ihrer Glaubwürdigkeit zu überzeugen. Eine um alle fehlenden Partien ergänzte Reproduktion wäre unaushaltbar.Katrin Bettina Müller

„Ein Haus der Ewigkeit“ bis zum 30.10. im Ägyptischen Museum. Zum Grab des Sen-nefer ist für 15 DM ein Katalog erhältlich, den 1986 die Kodak AG Stuttgart und das Römisch -Germanische Museum in Köln herausgegeben haben.

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