: Kein Sorgerecht für Lesben?
■ Weil Mama Frauen liebt, ist der Sohn in Gefahr / Das Dortmunder Familiengericht entscheidet patriarchalisch
Kein Sorgerecht für Lesben?
Weil Mama Frauen liebt, ist der Sohn in Gefahr / Das
Dortmunder Familiengericht entscheidet patriarchalisch
„Wenn ich heute wieder mit einem Mann zusammenleben würde, hätte ich meinen Sohn behalten können, aber als lesbische Mutter hatte ich keine Chance.“ Montag, 30. Mai, Familiengericht in Dortmund: Urteil im Prozeß um das Sorgerecht für den zehnjährigen Ingo, dessen Eltern sich 1986 nach elfjähriger Ehe getrennt hatten. Auf Empfehlung der Gerichtspsychologin Renate Rybicki wird das Kind dem Vater zugesprochen. Der Mutter, Gabi, die sich acht Jahre fast ausschließlich um das Kind kümmerte, soll nur das Umgangsrecht bleiben. „Nach unserer Heirat 1975 habe ich gearbeitet, während mein Mann studiert hat. Als Ingo geboren wurde, bin ich zu Hause geblieben und war für das Kind zuständig“, schildert Frau L. Dies änderte sich schlagartig, als sie sich in eine Frau verliebt. Von ihrem Mann vor die Wahl gestellt, entscheidet sie sich für die Freundin und zieht mit ihr und dem Kind zusammen.
Von nun an verbringt Ingo drei Wochentage bei der Mutter, zwei beim Vater, an den Wochenenden wechseln sich beide ab. Doch das geht nicht lange gut: Mehr als einmal, so Gabi L., sei ihr Mann in ihrer neuen Wohnung erschienen und habe unter Androhung von Gewalt die Herausgabe des Sohnes gefordert. Schließlich beantragt sie das alleinige Sorgerecht. Da Ingo keine Entscheidung treffen will, läßt das Gericht auf Antrag des Vaters ein psychologisches Gutachten erstellen. Dabei herausgekommen ist ein Dokument bemerkenswert subtiler Anti-Homosexualität. Zwar verfügten beide Elternteile „grundsätzlich über ausgesprägte Fähigkeiten“, Ingo künftig zu fördern, aber: „Es ist zu erwarten, daß er (Ingo) in der Begegnung mit dem Vater Unterstützung und Orientierung auch im Hinblick auf die notwendige Ausbildung seiner sexuellen und männlichen Identität findet.“ Argumentiert wird mit den erforderlichen Auseinandersetzungen speziell mit den elterlichen „Autoritätsfiguren“, mit dem Tennisverein, in den der Vater den Sohn anmelden wolle, der 200 qm großen Wohnung, die dem „Expansionsdrang“ Ingos gerecht würde und nicht zuletzt mit den „spielerischen Kämpfen“ zwichen Vater und Sohn. Obwohl natürlich die Beziehung der Frauen „an sich“ kein Grund sei, eine Sorgerechtsausübung durch die Kindesmutter „prinzipiell“ in Frage zu stellen.
Auch bedeuteten die eingeschränkten Kontakte mit Männern im Haushalt der Mutter „keineswegs eine akute Gefährdung Ingos im Sinne einer zu erwartenden Ausbildung von Entwicklungsstörungen“. Aber, so schwant es der Psychologin, bei der Mutter zu leben, würde für den Sohn eine „intensivere Auseinandersetzung mit der homosexuellen Lebensform seiner Mutter“ implizieren. Hinweise für eine „einseitig männerfeindliche Haltung“ fänden sich jedoch keine. Aber auch hinsichtlich der sich „stabilisierenden familiären Gemeinschaft“ des Vaters - beim Besuch der Psychologin war diese familiäre Gemeinschaft mit einer früheren Freundin noch keine zwei Monate alt - sei es für das Wohl des Kindes besser, beim Vater zu leben.
Gabi L. will nun Beschwerde beim OLG einlegen. Solange das Urteil noch keine Rechtskraft habe, so ihre Hoffnung, müsse zumindest die bisher praktizierte abwechselnde Betreuung weiter gelten. Doch das scheint ein Trugschluß zu sein. Zwei Tage nach dem Entscheid erwirkte der Vater eine einstweilige und nicht begründete Verfügung der Familienrichterin, das noch nicht einmal schriftlich zugestellte Urteil wirksam werden zu lassen. Nun verweigert er der Mutter, ihren Sohn zu sehen. Über die hiergegen eingelegte Beschwerde ist noch nicht entschieden.Anne Schmidt
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