: Deutsch, christlich-sozial und flexibilisiert in die Zukunft
■ Die Leitanträge des CDU-Bundesvorstandes - Unsere Verantwortung in der Welt und Politik auf Grundlage des christlichen Menschenbildes - liefern ideologisches Unterfutter / S
Deutsch, christlich-sozial und flexibilisiert in die
Zukunft
Die Leitanträge des CDU-Bundesvorstandes - „Unsere
Verantwortung in der Welt“ und „Politik auf Grundlage des
christlichen Menschenbildes“ - liefern ideologisches
Unterfutter / Scharfe Töne gegen „Mißbrauch des 218“ /
Plädoyer für mehr Selbstverantwortung in der Sozialpolitik / Konfliktträchtige Themen „Umwelt- und Ausländerpolitik“
vertagt
Zwei Leitanträge hat der Bundesvorstand formuliert, über 1.000 Anträge hat die Basis auf den Weg geschickt. Da die CDU aber keine Parteitagspartei ist, sondern eine, in der alles Zukunftsträchtige im Konrad-Adenauer-Haus erdacht wird, ist der Gang der Dinge weitgehend von der Antragskommission bestimmt und dem Willen des Bundesvorstands entsprechend angerichtet worden.
An den Anfang des Parteitages gestellt ist die Diskussion über den Leitantrag „Unsere Verantwortung in der Welt“, die Montag nachmittag beginnen und Dienstag früh enden soll. Im Zentrum dieses Antrages stehen die deutschland- und europapolitischen Vorstellungen der Union. Mittelfristige Ziele - „Die Europäische Gemeinschaft muß zu einem neuen Zentrum internationaler Politik werden... Frankreich und Deutschland müssen zum politischen Kern einer sich entwickelnden Europäischen Union werden“ - behalten die normative Zielsetzung - „Die Wiedervereinigung ist das vordringliche Ziel unserer Politik“ - stets im Auge. Erhebliche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Thema „Menschenrechte“ zu, dessen instrumenteller Einsatz zusehends deutlicher zutage tritt: „Die Bundesrepublik Deutschland und das freie Europa können auf Dauer keine Inseln der Freiheit, des Wohlstands und des Friedens bleiben, wenn in anderen Teilen der Erde Unterdrückung, Armut und politische Instabilität herrschen. Als Deutsche tragen wir aufgrund unserer geschichtlichen Erfahrungen eine besondere Verantwortung für die Durchsetzung und Erhaltung der Menschenrechte.“ Menschenrechte, das ist die stillschweigende Voraussetzung dieses Kapitels, sind das, was „wir“ haben und „die dort drüben“ nicht. Die Abschaffung der Isolationshaft für Flüchtlinge zählt eindeutig nicht zu den von der CDU gemeinten Menschenrechten.
Der zweite Leitantrag, „Politik auf Grundlage des christlichen Menschenbildes“, wird voraussichtlich am Dienstag abend beschlossen werden. „Ungeborenes und geborenes Leben sind gleichwertig. Menschliches Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle“ wird in dem Leitantrag zu Beginn festgestellt. Die Konsequenzen daraus ergeben sich dann fast von selbst: „Es gibt begründete Annahme, daß diese hohe Zahl (von Schwangerschaftsabbrüchen, Anm. O.T.) auf Verstößen gegen das Gesetz beruht. Die Ausnahmebestimmung des 218a StGB darf nicht durch Mißbrauch zur Regel werden.“
Längere Ausführungen werden auch zur Gentechnik gemacht: die In-Vitro-Fertilisation wird nur für „Alleinstehende und nichteheliche Lebensgemeinschaften“ ausgeschlossen, Leihmutterschaften werden abgelehnt, pränatale Diagnostik wird dagegen „in begründeten Fällen“ für sinnvoll gehalten. Beim Thema „Sterbehilfe“ wurde in der Ursprungsfassung des Leitantrages eine neue gesetzliche Regelung, d.h. Erleichterung der sogenannten aktiven und passiven Sterbehilfe abgelehnt. Dieser Satz fehlt in der Endfassung, dort wird lediglich die aktive Sterbehilfe abgelehnt und ansonsten festgestellt: „Die Möglichkeiten der modernen Medizin rechtfertigen nicht ihren Einsatz um jeden Preis.“
Erhebliches Gewicht hat der vor allem auf Drängen von Lothar Späth so gefaßte Abschnitt 2 des Leitantrages: „Soziale Marktwirtschaft sichert Zukunft und Solidarität“. Der Bogen zum Christentum wird hier sehr bemüht geschlagen: „Die soziale Marktwirtschaft hat ihr geistiges Fundament in der zum Menschenbild des Christen gehörenden Idee der verantworteten Freiheit.“ Im Kern geht es um Flexibilisierungs-, Deregulierungs- und Arbeitskostenbegrenzungsmaßnahmen. Von der Lockerung des Vermittlungsmonopols der Bundesanstalt für Arbeit über eine Veränderung der Arbeitslosenstatistik bis zur Reform der Unternehmensbesteuerung wird hier alles propagiert, was Kapitalistenherzen höher schlagen läßt. Wirklich erstaunlich ist deshalb, daß der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse, Ulf Fink, auf seiner Pressekonferenz zum Parteitag nicht einmal einen kleinen Muckser gegen diese, die Politik seiner Vereinigung erheblich in Frage stellenden Aussagen getan hat. Der dritte Abschnitt - „Für eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht“ - spricht sich für die Pflege Alter und Behinderter durch Familienangehörige aus, fordert die „Familienarbeit“ insgesamt neu zu bewerten und hält sich mit konkreten Versprechungen über sozialpolitische Maßnahmen auffallend zurück. Die Themen „Ausländerpolitik“ und „Umweltpolitik“ sollten ursprünglich ebenfalls in dem Leitantrag abgehandelt werden, wurden dann aber, weil zu konfliktträchtig, wieder herausgenommen.Oliver Tolmein
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