: STERNE SEHN
■ Die Terje Rypdal Group im Planetarium
STERNE SEHN
Die Terje Rypdal Group im Planetarium
Guten Tag. Hier ist die Norwegische Militärmission. Das muß ein Versehen sein, falsch verbunden und alles, ich habe doch Kriechdienst verweigert und kenne Norwegen nur von der Landkarte. Dürfen wir Sie zu einem Abendessen einladen? Essen? Schmackofatz? Manna? Den in letzter Zeit ohnehin sich recht offensiv in die Umwelt hineinwölbenden Ranzen weiter unterfüttern und vollprallen? Jaujau! Es geht um das Konzert von Terje Rypdal im Planetarium. Vielleicht können Sie sich vorher ein bißchen kennenlernen. Freitag abend um halb acht in der Paris Bar. Ja, gerne, auf Wiedersehen am Freitag.
Zwei Tage später die schriftliche Einladung. Um Abendgarderobe wird gebeten. Oh warte. Konfirmationsanzug? Viel zu eng, aus dem Spiegel grinst zerquält die Wurst in der Pelle. Schlips kommt sowieso nicht in Frage - Strick um den Hals zurren ist nicht drin. Also die schicke Kombination in Schlamm (Modefarbe 1983).
Vor der Paris Bar wartet sichtlich verunsichert der Votograf Owsnitzki. Er sieht betäubend elegant aus, geradezu verheerend gut. Sein Vater hat ihm eine Boss-Jacke geliehen, Junge, daß du mir da manierlich hingehst. Im Lokal ist die Terje Rypdal Group bereits eingetroffen, jemand von der Botschaft, jemand von der Mission, der Veranstalter Osterwoldt sowie einige mir unbekannte Personen, selbstverständlich alle in legerer, um nicht zu sagen sträflich nachlässiger Kleidung, nur die Kellner mit ihren knöchellangen Schürzen sehen noch gediegener aus als die beiden Top-Reporter. Wünschen sie einen Aperitif? Herr Osterwoldt beginnt zügig von einer Hamburger Familie Owsnitzki zu erzählen (nicht verwandt oder verschwägert, d. Votograf), die hatten schon 1963 den ersten Video -Recorder, und die alte Polaroid mit Querformat, eine richtig bekloppte Fernsehfamilie war das, aber nicht vorm Fernsehn, sondern wie im Fernsehn, keiner konnte die leiden, aber die Parties waren klasse, man mußte sich so blöde Hütchen auf den Kopf binden - soviel zu den Wurzeln hiesiger Kulturschaffender.
In ausgesuchter Höflichkeit wird nun zügig gespeist, die Spargelcremesuppe serviert das Haus in terrinengroßen Schalen, die aber nur zu einem Viertelchen gefüllt sind, sehr vornehm, muß ich mir merken. Der Rotwein ist auch sehr lecker, und da Musiker ohnehin weder ins Gras noch ins Glas spucken, werden die Gespräche bald feuriger, vitaler. Zügig und unbemerkt verrauscht die Zeit, der Norwegische Konsul entpuppt sich als Grundsympath mit kenntnisreicher Liebe zur Musik, einer der Musiker greift später, von einer dummen Laune des Eros gepeitscht, einer jüngeren Dame an die Brust, was ihm äußerst irritierte Blicke und einen knappen Handkantenschlag einbringt. Von dieser unschönen Folge der Trunksucht abgesehen aber hält sich der Abend erstaunlich stilvoll und senkrecht, und morgens um drei schreitet die Bagage sicheren Fußes auf die Kantstraße, den Menschen einen Gruß und den Taxis einen Auftrag zu winken. Allein Avantgardist Osterwoldt will noch nicht den letzten Becher geleert haben, aber die wohlerzogenen Teile der Gesellschaft streben der Karussellfahrt zwischen heimischen Laken entgegen. Lulilalu.
Gänzlich verschieden von dieser geselligen, herzlichen Atmosphäre geht es am Sonntag im Planetarium zu. Die Terje Rypdal Group hat den fünften und letzten Teil der Fata Morgana-Veranstaltungen zu bestreiten, ihnen obliegt es, die Atmosphäre der arktischen Eiswüste in Ton und Klang zu treffen und zu verbreiten. Es ist warm im Planetarium, auch die an die 360-Grad-Kuppel geworfenen Urlaubsdias, die nicht von der Band stammen und von Schnee und Eis künden, kühlen nicht. Bevor der Rentier- bzw. Elchschlitten erscheint, beginnt aber die Musik. Der DX 7 rauscht verhalten, der Trompeter gibt Wispern, Säuseln und Flüstern aus der Effektenschachtel hinzu, der Kontrabass schwelgt leis in moll, der Percussionist streift kaum merklich ein paar Glöckchen, und Terje Rypdal greift zur Flöte, später zur gently weeping guitar. Durch die Kuppel wandert jetzt eine Orange, ein paar Flummibälle sausen herum, Freizeitgestaltung der Brüder und Schwestern Planeten? Hohlworte wie „majestätisch“ bohren sich in den Kopf, alles vibriert Getragenheit, Größe, Natur, Gott und werweißwas. Der Percussionist wabert und blubbert mit Blechen, er macht das sehr gut, aber wenn gängige Vorstellungen, Erdkundebuchbilder und dort genau hineinpassende Töne sich ineinander verkeilen, entsteht ein Vakuum. Es ist zuviel und deshalb zuwenig.
Dann wird der Klang der Wüste wüster. Heftiger, reibender, eruptiver. Die Snare knallt scharf und hart, man sieht und hört förmlich, welche Substanz an berstender Spielfreude in dem Schlagzeuger steckt, immer wieder setzt er unerwartete, absolut präzise Akzente und Zwischentöne. Terje Rypdal wiegt seine Gitarre, er scheint die Töne durch eine Bewegung des Knies oder der Armbeuge hervorzulocken, sein ganzer Körper ist am Klang beteiligt. Die Gitarre sirent und zerbricht zugleich den Melodiebogen, päpäpäpä spotzt die Trompete dazwischen, die Stimmen der Musiker zischeln dazu. Die Aura des Bedeutsamen ist aufgehoben, die Band ist in der Musik und damit dem Knarren, Knarzen und Jaulen des Kosmos in jedem Fall näher als mit kunsthandwerklich ausgefeiltem Gesumms.
Noch freier und leichter wird es, tidididi plinkt die Ricky -King-Gitarre, la-di-di-da, Schmelz und Schmalz, die Arktis schmilzt unter den Tönen, die eher an Hawaii gemahnen denn an frierende Eisbären.
Dann geht es zurück ins Gesetzte, auch der Sternenhimmel des Planetariums muß noch aufgefahren und einmal in die Runde gedreht werden, das ist nett gemeint, aber Tinneff, es reduziert die Musik auf die Illustration von Abziehbildern.
In dieser einen Stunde offenbart sich das ganze Dilemma der Auftragsarbeit, die zwar das Können der Musiker, aber nicht ihren ureigenen Impetus einfängt. Es gibt keine innere Notwendigkeit der Töne, man merkt, daß sie nicht so und nur so, sondern eben auch ganz anders klingen können, die Unbedingtheit des ekstatischen Stilisten Terje Rypdal und seiner seelenvollen Musiker ist verloren. Man kann ihnen das Konzeptkonzert, dessen Rahmen sie immerhin einige Male gesprengt haben, nicht vorwerfen, auch nicht, ein herausforderndes und evtl. lukratives Angebot anzunehmen und es einfach zu probieren; aber man muß sie hören, wenn sie ihre Musik spielen. Dann sieht man Sterne auch ohne Projektor.wiglaf droste
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