: „The Wall“ ließ die Mauer nicht wackeln
Massiv „geschützt“ von der Staatssicherheit feierten in Ostberlin knapp 3.000 Leute Pink Floyd ohne Pink Floyd / Mehrere Festnahmen und staatliche Hiebe für Journalisten / DDR-Presse mobilisiert Jugend für Parallel-Konzerte ■ Von Paula MacCartney
Ost-Berlin (taz) - „Wegen technischer Störung geschlossen“, heißt es am Donnerstagabend an den Türen der Cafes und Restaurants an Ost-Berlins Prachtstraße „Unter den Linden“, doch seit Tagen ist klar, daß der plötzliche technische Defekt die „Hauptstadt“ pünktlich dann heimsuchen würde, wenn rund 500 Meter westwärts vor dem Reichstag „Pink Floyd“ die Technik gerade warm laufen läßt.
Auch die auffällig vielen Herren zwischen 25 und 40, die schon seit Stunden paarweise auffällig unauffällig zwischen dem Brandenburger Tor und der Charite-Klinik hin und her schlendern, wissen schon seit Wochen, daß sie an diesem Sommerabend das dringende dienstliche Bedürfnis nach einem Spaziergang verspüren würden. Im Staate der sozialistischen Planwirtschaft soll zumindest in diesem Jahr nichts dem Zufall überlassen bleiben, wenn aus dem Westteil der Stadt drei Tage lang die Lautsprecherboxen dröhnen.
„Böse“ Überraschungen, wie im letzten Jahr zu Pfingsten, als anläßlich eines Rockkonzerts vor dem Westberliner Reichstag spontane Protestäußerungen zu den bisher heftigsten Auseinandersetzungen zwischen den „Organen“ der Volkspolizei und Rockfans geführt hatten und über hundert Jugendliche von den DDR-Behörden verhaftet und verprügelt worden waren, sind in diesem Jahr im Plan nicht vorgesehen.
Tagelang hatte die DDR-Presse ihre Jugend für ein extra organisiertes Parallel-Konzert in Weißensee, weit weg vom Brandenburger Tor mobilisiert. Und schon Stunden, bevor „Pink Floyd“ in symbolträchtiger Mauernähe ihr „Wall„-Opus beginnen, haben Einheiten der Volkspolizei den antiimperialistischen Schutzwall in der Umgebung des Brandenburger Tors mit einem zweiten Absperrgitter gesichert. Schon tags zuvor waren die Bewohner der wenigen anliegenden Häuser aufgefordert worden, die Eingangstüren ab 19 Uhr geschlossen zu halten.
Als dann am Nachmittag die ersten Jugendlichen aus Halle, Leipzig und Dresden mit ihren Rucksäcken eintreffen, sind sie längst nicht mehr allein. Jeder dritte, so lauten die offen gehandelten Schätzungen an diesem Abend Unter den Linden, „ist einer vom Stasi“, und in den Hinterhöfen stehen, nur notwürftig verborgen, ganze LKW-Ladungen mit Volkspolizisten.
Knapp 3.000 Menschen sind es schließlich, die sich - teils aus Neugierde, „was so läuft“, teils aus Interesse an Pink Floyds Musik, die Straßen erobern - die einen mit Punk -Frisuren, die anderen wohlgekleidet, einige mit Gorbatschow -Plaketten und andere mit nationalistischen Aufnähern an der Jacke.
Stunden dauert es, bis das Konzert beginnt, und „Unter den Linden“ haben sich die ersten längst auf ihren Schlafsäcken ausgestreckt. Mit Beifall und Gejohle für jeden vorbeiradelnden Vopo versucht man sich bei Laune zu halten. Eine kleine Gruppe Jugendlicher posiert vor den westlichen Fernsehkameras. Plötzlich drängelt die Menge Richtung Brandenburger Tor bis zu den Absperrgittern vor, auf der anderen Seite des Gitters zieht drohend eine Hundestaffel auf und hektisch einlaufende Volkspolizisten formieren sich in Doppelreihen. „Die Mauer muß weg, die Mauer muß weg“, ertönt es plötzlich aus einer kleinen Gruppe.
Es dauert nur einige Sekunden, bis aus der Menge heraus mehrere Arme zupacken und die Rufer im Polizeigriff abführen oder an den Haaren hinter die Absperrung zerren. Fotografen, die das Geschehen festhalten wollen, wird die Kamera weggerissen, einige von ihnen werden ebenfalls weggeschleppt. Insgesamt sind es wohl zehn bis zwanzig Leute, die ohne ersichtlichen Grund blitzschnell und völlig lautlos verhaftet werden.
Eine Weile sieht es so aus, als könnte die Situation eskalieren, doch dann breitet sich wieder Straßenfeststimmung aus. Man schlendert herum, trifft diesen und jenen und wartet und wartet auf irgend etwas, von dem jede/r nur weiß, daß es nicht allein Pink Floyd ist, denn von denen hört man den gesamten Abend so gut wie nichts. Nur hin und wieder, treiben einige Tonschwaden herüber, doch so leise, daß selbst ein „We don't need no walls arround us“ keine Konzertstimmung aufkommen läßt.
Dennoch harren fast 2.000 Leute bis nach Mitternacht aus, als Pink Floyd schon längst die Koffer gepackt hat. Einige gehen leicht frustriert nach Hause: „Wenn man sowieso nüscht hört, hätten se ja gleich 'ne DDR-Gruppe spielen lassen können.“
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