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Strahlenschutz schützt Strahlen

In Bundesumweltminister Töpfers Novelle zur Strahlenschutzverordnung bleiben Grenzwerte unverändert / Grüne: Töpfer gibt Drängen der Atomindustrie nach  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Zwei Jahre nach Tschernobyl wird die Strahlenschutzverordnung novelliert - doch wer sich davon mehr Schutz vor radioaktiven Gefahren verspricht, wird enttäuscht. Im Entwurf der Novelle, über die Minister Töpfer gestern in Bonn informierte, sind die Grenzwerte der Strahlenbelastung für die Bevölkerung und für die Beschäftigten in Nuklear-Bereichen unverändert geblieben, obwohl sich in der internationalen Wissenschaftswelt mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß die Gesundheitsgefahren durch radioaktive Niedrigstrahlung weitaus größer sind als früher angenommen. Während die Strahlenschutzbehörde des britischen Atomstaats empfiehlt, den Grenzwert für beruflich belastete Personen auf 1,5 rem pro Jahr zu senken, will es Minister Töpfer bei 5 rem belassen. Dieser Wert wird an bundesdeutschen Atomarbeitsplätzen gelegentlich überschritten. Erst kürzlich hatte die Kernforschungsanlage Karlsruhe in ihrem Jahresbericht bekanntgegeben, daß die Jahresdosis mindestens eines Mitarbeiters über 1,9 rem gelegen hatte.

Zwar wird in die Verordnung als neue Größe eine maximale Lebenszeit-Dosis von 40 rem aufgenommen: Doch wer daraus schließt, stark belastete Atom-Arbeiter könnten u.U. nach acht Jahren in Rente gehen, rechnet zu kurz. Durch „Flexibilität in den Anlagen“, wie es Professor Jacobi von der Strahlenschutzkommission gestern vor der Presse nannte'können die gefährlicheren Arbeiten so verteilt werden, daß niemand die maximale Lebensdosis erreicht.Zu deutsch: Mit der neuen Verordnung kann die Atomindustrie weiterhin Leiharbeiter einsetzen, die in kurzer Zeit die zulässige Jahresdosis an Strahlen abbekommen und dann ausgewechselt werden. „Töpfer gibt dem Drängen der Atomindustrie nach“, kommentierten die Grünen den Entwurf. Die SPD-Fraktion forderte eine starke Reduzierung der Jahresdosis auf 1 rem.

In der Novelle wird der Grenzwert für den Normalbürger nicht mehr als ein fester Bruchteil der Dosis definiert, der Beschäftigte in Atomanlagen ausgesetzt werden dürfen, sondern absolut bei 30 Millirem festgesetzt. Auf den ersten Blick ändert dies nichts, auf den zweiten ist es jedoch „eine raffinierte politische Taktik“, wie es der Physiker Mario Schmidt vom Heidelberger IFEU-Institut nennt. Denn in den nächsten Jahren ist damit zu rechnen, daß auf Empfehlung der internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) die Grenzwerte für Beschäftigte in Atomanlagen gesenkt werden müssen. Von einer Reduzierung von 5 auf 1,5 rem pro Jahr ist die Rede. Wenn damit automatisch die Grenzwerte für die Bevölkerung statt heute 30 Millirem nur noch 10 Millirem betragen würden, käme die Bundesregierung zum Beispiel in der Umgebung der künftigen WAA Wackersdorf mit den dort erwarteten Strahlendosen ins Gehege. Erst kürzlich war die ohnehin noch starke Verstrahlung der bayerischen Böden durch den Tschernobyl-Unfall festgestellt worden.

Daß auf ICRP-Empfehlung in der Novelle statt der herkömmlichen Ganzkörper-Dosis jetzt eine „effektive Dosis“ zugrunde gelegt wird, die die unterschiedliche Strahlenanfälligkeit der einzelnen Organe berücksichtigt, wird von Töpfer als Fortschritt herausgestellt. Da dabei jedoch als Kriterium nur das Todesrisiko durch Krebs und nicht ein allgemeines Erkrankungsrisiko gelte, kritisiert das IFEU-Institut auch diese Neuerung als „unzureichend“ und „ethisch fragwürdig“. Das Institut fordert eine drastische Absenkung aller Grenzwerte und damit eine angemessene Reaktion auf die seit Jahren geführte Diskussion über die lang unterschätzte Wirkung niedriger Strahlendosen. Einwände gegen die Novelle haben ebenfalls die meisten SPD-Länder angemeldet. Die Umweltverbände werden ihre Kritik auf einer internen Anhörung des Umweltministeriums in der kommenden Woche vorbringen.

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