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Unnötig -betr.. "SPD-Initiative für 'Amnestie-Gesetz–", taz vom 14.6.1988, S.1,5

betr.: „SPD-Initiative für 'Amnestie-Gesetz'“, taz vom 14.6.1988, Seiten 1, 5

Wie schon die Initiative der Bundestagsfraktion der Grünen geht auch das von den SPD-regierten Bundesländern in den Bundesrat eingebrachte „Amnestie-Gesetz“ für Teilnahme an Sitzblockaden in doppelter Hinsicht an dem Kernproblem vorbei. Zum einen haben diejenigen, die bei vielfältigsten Aktionen mit Sitzblockaden den Militärverkehr behindert (...) haben, bewußt Regeln verletzt und auch strafrechtliche Verfolgung auf sich genommen, weil sie gemessen an den Gefahren, die die Menschen und das Leben auf der Erde bedrohen, denjenigen, die für diese Gefährdungen verantwortlich sind, mit entschiedenem Widerstand begegnen und die Loyalität aufkündigen wollten. Als wir uns in all den Jahren in Mutlangen und anderswo zu Sitzdemonstrationen auf die Straße niederließen, haben wir zugleich, wie Richter Offenloch vom Amtsgericht Schwäbisch Gmünd es formuliert, „billigend in Kauf genommen“, den Knüppel des Nötigungsparagraphen übergebraten zu bekommen. Damit wurde zugleich wegen der Massenhaftigkeit der Sitzblockaden Schritt für Schritt erkennbar, daß nicht nur Juristen, sondern „die billig und gerecht Denkenden in diesem unserem Lande“ sich über den Nötigungsparagraphen und seine Interpretation heillos zerstritten haben. So viel Widersprüchlichkeit und Durcheinander ist nur gut, und die „Amnestie„-Forderungen sind eine Folge davon. Ich meine jedoch nach wie vor - und befinde mich dabei in weitgehender Übereinstimmung mit den meisten Betroffenen -, daß weder eine „Amnestie“ noch eine „Verbesserung“ des Nötigungsparagraphen die richtige rechtspolitische Antwort ist. Der Zivile Ungehorsam hat erfrischende und couragierte Aspekte einer neuen politischen Kultur offenbart, und das ist erst ein kleiner Anfang. Eine „Amnestie“ lähmte die neue Zivilcourage auf Katzenpfötchen im Gegensatz zur BGH -Entscheidung, die abschrecken möchte. (...)

Zum zweiten ist es doch etwas merkwürdig, wenn der Bremer Justizsenator Volker Kröning in seinem taz-Interview „einen Strich ziehen“ will und just als Datum die rechtswidrige und obrigkeitsstaatliche Entscheidung des 1. Strafsenats des BGH vom Mai 1988 setzt. Der öffentliche Aufruf zu Sitzdemonstrationen am US-Fischbach-Depot (Giftgaslager/C -Waffen-Depot) vom 27. Juni bis 1. Juli 1988 fand (...) innerhalb weniger Tage etwa 1.300 mehr oder weniger prominente UnterzeichnerInnen, die sich dadurch erneut der Strafverfolgung des § 240 StGB („Nötigung“) im Zusammenhang mit § 111 StGB („Öffentliche Aufforderung zu Straftaten“) durch die Staatsanwaltschaft aussetzen. Hinzu kommen hunderte Leute, die sich vor den Toren des US-Fischbach -Depots niedersetzen und bis zur Festnahme sitzenbleiben werden. Wo ist da eigentlich der Unterschied vor und nach dem Stichtag 13. Mai 1988 in dem „Amnestie„-Vorschlag? Die Pershing-II-Raketen in Mutlangen (..) sind Massenvernichtungswaffen ebenso wie einige 100 Tonnen Nervengas, die im Fischbach-Depot lagern, ganz zu schweigen von der völlig neuen Klasse der binären chemischen Waffen. Und das ist noch lange nicht alles: die WAA oder die geplante neue Raketennachrüstung lassen grüßen. Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung, unter diesem Motto haben wir vor Jahren mit den Sitzdemonstrationen und anderen gewaltfreien Widerstandsformen angefangen. Dabei soll es bleiben, mit oder ohne „Amnestie“. Hilfreich wäre es allerdings, wenn gerade auch bekanntere Oppositions -Politiker gelegentlich Zivilen Ungehorsam zeigen würden. Zum Beispiel gegen den § 240 StGB, denn dieser Paragraph ist nicht zu reformieren, er gehört ersatzlos gestrichen. Uralt, wie er ist (vom Kaiserreich über die Weimarer Republik über die Nazizeit bis heute), steht er in fundamentalem Widerspruch zum freiheitlich-demokratisch verfaßten Grundgesetz.

Klaus Vack, Sensbachtal

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