: Kirchen als Anwälte der „Dritten Welt“
Symposium der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung zur internationalen Schuldenkrise in Berlin / Anspruch auf Streitkultur wurde nicht eingelöst ■ Von Eva Hiltrop
Aufgeschreckt von ihren Basisorganisationen haben die in der „Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung“ organisierten evangelische und katholische Kirche eindeutige Positionen zu den fundamentalen Auswirkungen der Verschuldung der „Dritten Welt“ formuliert. Was auf dem in Berlin stattgefundenen Symposium zur Schuldenkrise diskutiert wurde, hatte dann auch nicht mehr viel mit einem „Gefühl vagen Mitleids oder oberflächlicher Rührung“ für die am härtesten von der Schuldenkrise Betroffenen zu tun. Vehement treten beide Kirchen dafür ein, die Ursachen der Verschuldung deutlich zu machen und nach Gegenstrategien zu suchen. „Die Anwälte der Dritten Welt“ riefen zu einem Dialog auf - und das Echo war groß. Ein Streitgespräch sollte es werden, bei dem über weitgehende Maßnahmen und politische Entscheidungen für eine Lösung der Verschuldung geredet werden sollte. Doch eingelöst, das sei an dieser Stelle schon erwähnt, wurde dieser hehre Anspruch nur teilweise.
Von seiten der Kirchen hörte man in den Eingangsreferaten grundsätzliche Positionen zum christlichen Selbstverständnis, das auf ethischen Maßstäben fundiert und sich verpflichtet fühlt, aus dem Gebot der Nächstenliebe für die „Freiheit, Gerechtigkeit und die Menschenwürde“ der ärmsten Bevölkerungsschichten in der „Dritten Welt“ zu kämpfen. Ausgehend von der objektiven Analyse der Schuldensituation, so die Stimme aus Rom, Monsignore Martin, sei es ratsam, die internationalen Organisationen, die an der Bewältigung der Schuldenkrise beteiligt sind, auf ihre Fehler hinzuweisen. In die Pflicht zu nehmen seien dabei vor allem der IWF und das internationale Bankensystem. Doch sein Verkündigungsauftrag, der sich nur auf die ethische Dimension beschränkte und jegliche politische Einflußnahme ausklammerte, kam so manchem Diskussionsteilnehmer zu ausgewogen daher. Die Frage wurde gestellt, ob der ethische Ansatz zur Überwindung der Schuldenkrise, niedergeschrieben in der Enzyklika „Justitia et Pax“, überhaupt noch etwas bewirkt. Doch diese fundamentale humanistische Verpflichtung mit Ausrichtung auf den pastoralen Effekt dominierte die Diskussion der Tagung. „Soziallehre“, so Monsignore Martin, sei eben kein „Parteimanifesto“. Die Kirche, so seine Ausführung, muß immer den Aspekt des Glaubens und der kirchlichen Möglichkeiten im Blick haben. Sie will zwar ökonomisch sachkundig die andere Seite zur Zusammenarbeit aufrufen, mit allen Hauptdarstellern der Schuldenkrise solidarisch zusammenarbeiten, aber einen Sinn im Provozieren sieht sie nicht. Deutlichere Worte fand da schon Klaus Milke vom Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO). Er prangerte nicht nur den IWF und die Weltbank mit ihren menschenverachtenden Anpassungsprogrammen an, sondern geißelte in seinen Ausführungen auch das Verhalten der sieben mächtigsten Industrienationen, die mit ihren Institutionen darüber bestimmen, wieviel Luft den armen Ländern überhaupt noch zum Atmen bleibt. Weil von den Hauptakteuren der Schuldenkrise keine Lösung in Sicht sei, fordert der BUKO eine globale Schuldenstreichung, und zwar sofort. Die Botschaft fand wenig Widerhall. Immerhin fragten aber die Vertreter der evangelischen Kirche nach der Legitimität der Schulden der „Dritten Welt“. Eine Streichung wenigstens der als illegitim bewerteten Schulden wird auch von ihnen gefordert.
Für die beiden Kirchen ist das „Zeitalter der Unschuld vorbei“. Weil es nicht länger mitanzusehen sei, daß jeden Tag in der „Dritten Welt“ 40.000 Kinder an Hunger und Unterernährung sterben, müßten auch die Kirchen ihre Stimme erheben. Für Rob van Drimmelen vom Ökumenischen Rat der Kirchen aus Genf sind die Finanzsituationen durchaus Missionsgebiete der Kirchen. Schon allein deshalb, weil auf dem US-Dollar, der im internationalen Währungssystem die zentrale Rolle einnimmt, geschrieben steht: „Auf Gott vertrauen wir“. Doch ist der Gott der Geldeintreiber, so fragte sich der Christ aus Genf, auch unser Gott? Er glaubt an einen Gott, der subversiv ist, weil er die Dinge aus der Sicht der Ärmsten betrachtet und setzt die Hoffnung in einer Gesellschaft des Widerstandes, wenn weiterhin die Schwachen und Benachteiligten auf den Altären der finanziellen Stabiltät geopfert werden.
Doch dieser Verkündigungsauftrag ging wohl an den Ohren der Vertreter von IWF, Bundesministerien für Finanzen und für wirtschaftliche Zusammenarbeit vorbei.
Für Pressesprecher Hartmann vom Internationalen Währungsfonds war es keine Frage, daß es ohne seine Institution in der Dritten Welt nur noch schlimmer aussehen würde. Auch wenn die Schuldenkrise zu den „bedrängendsten Problemen der Gegenwart“ gehört und „nach wie vor kein Ende des Leidens weiter Kreise der Bevölkerung in hochverschuldeten Ländern“ abzusehen sei, sah er doch keine Notwendigkeit für eine Kurskorrektur des IWF. Unabdingbare Lernprozesse seien im übrigen bereits vollzogen. So wären die Anpassungsprogramme in der jüngsten Zeit modifiziert worden, indem die Laufzeiten der Kredite verlängert und die Zinssätze gesenkt wurden. Die Schuldnerländer, daran ließ der IWF-Vertreter keinen Zweifel, werden aber auch zukünftig hart rangenommen, denn „die Schaffung neuer Instrumente darf nicht mißverstanden werden als ein Versuch des IWF, die Anpassung zu verschieben, sondern eher als Versuch, den Anpassungsprozeß zu stärken.“
Auch Eckard Pieske, die „wohl härteste Nuß im Finanzministerium“, wie ihn ein Teilnehmer der Tagung beschrieb, machte seinem Ruf alle Ehre. Steinhart und kompromißlos gab er den Schuldnerländern den Rat, weiterhin zu versuchen, auch wenn es mühsam sei, aus den Schulden „herauszuwachsen“. Eine Streichung der Schulden sei jedenfalls keine Lösung des Schuldenproblems. Im übrigen war es für ihn überhaupt nicht bewiesen, „daß unter der Schuldenlast die ärmsten Schichten der Bevölkerung besonders zu leiden haben.“ Diese Aussage trieb nun wieder Klaus Milke vom BUKO ans Rednerpult, der seine Bestürzung über die Ignoranz und mangelnde Lernbereitschaft des Bonner Ministerialdirigenten zum Ausdruck brachte und ihm Mangel an Einfühlungsvermögen für die Sorgen der notleidenden Menschen vorwarf.
Resumee: Auch wenn es zu begrüßen ist, daß die Kirchen zu einem Dialog über die Lage der ärmsten Bevölkerungsschichten in der Welt aufrufen, so muß doch festgestellt werden, daß sie ihre Ziele nur zum Teil verwirklicht haben. Sie haben sich eine Streitkultur gewünscht, doch wirklich gestritten wurde kaum. Eine besondere Bremse stellten die offiziellen Regierungsvertreter und Helmut Hartmann vom IWF dar. Beide haben es jedenfalls exzellent verstanden, die gesamten kirchlichen Bedenken über das Schuldenmanagement und Vorschläge zur Verbesserung der Situation wie Butter an sich abgleiten zu lassen. Waren die Kirchen wirklich gut beraten, diese selbstgerechten Herren einzuladen, deren Lernfähigkeit sich gegen Null bewegt? Von einer „neuen Allianz“, die sich Bischof Kamphaus von der deutschen Kommission der „Justitia et Pax“ wünschte, war jedenfalls nicht viel zu spüren.
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