: Nun fordert auch Litauen die Souveränität
■ Nach Estland und Lettland hat nun auch die dritte der 1940 okkupierten Ostsee-Republiken ihre Forderungen an die Allunionskonferenz der KPdSU angemeldet / Deutliche Spaltungserscheinungen in der litauischen KP / Zehntausende demonstrierten in Wilna
Wilna/Straßburg/Moskau (afp/dpa) - Auf einer Großkundgebung in Wilna, der Hauptstadt der litauischen Sowjetrepublik, ist am Freitag abend nach telefonischen Berichten litauischer Nationalisten die Spaltung der örtlichen KP in einen nationalistischen und einen prorussischen Flügel deutlich geworden.
Nach Angaben des Baltischen Weltrates in Straßburg vom Samstag habe eine Menschenmenge von über 50.000 Menschen die Absetzung des stellvertretenden Parteichefs für Litauen, des Russen Mitkin, gefordert. Die Initiative dafür sei von hohen litauischen Funktionären ausgegangen. Das litauische ZK -Mitglied Algirdas Brazauskas und der Erste Sekretär des Parteikomitees von Wilna, Kestutis Zaleckis, hätten die Menge dreimal suggestiv gefragt, ob man Mitkin weiter in der litauischen Partei dulden könne. Dreimal habe die Menge daraufhin skandiert: „Weg mit ihm!“
Mehrere Redner hätten auf der Kundgebung die Wiederherstellung der Souveränität Litauens aufgrund einer Änderung des Artikels 73 der sowjetischen Verfassung verlangt. Die Forderungen an die in der kommenden Woche beginnende 19. Allunionskonferenz der KPdSU hätten weitgehend den kürzlich in den beiden anderen baltischen Republiken Lettland und Estland gestellten Wünschen nach wirtschaftlicher und kultureller Autonomie entsprochen: Wiederzulassung der nationalen Symbole und der Nationalfahne, die 1940 bei der Okkupation durch die UdSSR verboten wurden, die Erhebung der litauischen Sprache zur Staatssprache, die Einführung einer eigenen Staatsbürgerschaft, die Unterstellung der kompletten Wirtschafts-, Finanz-, Kredit- und Zollpolitik unter die Hoheit des litauischen Staates, der in Form einer Realunion konföderativ mit der UdSSR verbunden bleiben könne. Während der Kundgebung in Wilna seien keine Milizionäre sichtbar gewesen. Während der Demonstration „wehte ein Meer von litauischen Nationalflaggen“, am Ende wurde die Nationalhymne gesungen.
Die drei baltischen Länder Litauen, Lettland und Estland waren seit dem Ersten Weltkrieg bis zur Einverleibung durch die UdSSR 1940 selbständige Staaten.
In Moskau kam es zu mehreren kleineren Demonstrationen und Versammlungen. Wie dort gestern zudem bekannt wurde, demonstrierten am Wochenende in der usbekischen Hauptstadt Taschkent rund 20 000 Krimtataren. Auch sie forderten mehr Autonomie und das Recht, in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen. Die Miliz soll mit großer Härte gegen sie vorgegangen sein.
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