: Die programmierte Katastrophe
■ Aus Paris Georg Blume
„Dies ist das modernste Flugzeug, das bis zum heutigen Tage auf der Welt gebaut wurde. Es zeugt vom Erfolg der europäischen Zusammenarbeit beim Flugzeugbau und im besonderen von der Qualität der französischen Flugzeughersteller.“ Als Jaques Chirac, seinerzeit Premierminister, am 28.März dieses Jahres solch hochtragende Worte zum Jungfernflug des Airbus A320 über Paris sprach, wußte er noch nicht, daß er an diesem Tag nur knapp der Katastrophe entronnen war. Damals rettete ein Notstromaggregat den Airbus, der mit Chirac an Bord zum Pariser Flughafen zurückheben konnte. Die Katastrophe fand erst am Sonntag statt.
Unbeachtet protestierte bei den Feierlichkeiten am 28.März eine kleine Gruppe französischer Piloten gegn den A320 Einsatz mit zwei statt bisher drei Leuten im Cockpit. Kein Zufall: Seit Jahresbeginn 1987 wehrt sich die Pilotengewerkschaft der französischen Fluggesellschaften „Air France“ und „Air Inter“ gegen die Einführung des neuen Airbus-Modells mit einer aus ihrer Sicht unterbesetzten Kanzel-Crew. Der an Bord aufgrund der Automatisierung nicht mehr vorgesehene Mechaniker gehe auf Kosten der Sicherheit, argumentiert die Gewerkschaft, da ein Ausfall des Bordbefehls-Computers immer möglich sei.
Solche Einwände wollte freilich in Frankreich niemand hören. Seit dem Concorde-Flop schien sich mit dem kommerziellen Erfolg der Airbus-Industrie ein alter französischer Traum zu verwirklichen: Frankreich konnte der Welt die fortgeschrittenste Flugzeugtechnologie vorführen und sich im europäischen Konsortium an erster Stelle wähnen. Keine Politikerrede der letzten Jahre zum Thema sparte Airbus als Symbol für ein erdachtes Technologie-Europa aus. Im Wahlkampf reichte den Kandidaten Mitterrand und Chirac oft nur das Stichwort Airbus, um vom europäischen Erfolg zu sprechen.
Als altmodisch und völlig von der Zeit überholt stellte die französische Presse von 'Liberation‘ bis 'Figaro‘ in diesem Kontext die unaufhörlichen Streiks der französischen Piloten dar. 45 Streiktage allein zwischen Januar und April 1988 brachten Air Inter Verluste von über 25 Millionen Mark ein. Und in dieser Woche, täglich von Mitternacht bis acht Uhr morgens, geht der Streik weiter.
„Zwei Mannschaftsmitglieder genügen, um dieses Flugzeug unter besten Sicherheitsbedingungen fliegen zu lassen“, hatte sich noch im März Chiracs Transportminister Jaques Douffiagues in den Air Inter-Konflikt eingemischt.
Erst letzte Woche bekräftigte der neue sozialistische Transportminister Louis Mermaz die Auffassung seines Vorgängers: „Die Zweierbesetzung im Cockpit ist eine nationale und internationale Notwendigkeit. Es ist undenkbar, dieses Prinzip in Frage zu stellen.“ Der ministeriellen Arroganz dürfte nun allerdings größere Vorsicht Platz machen.
„Ein dritter Mann an Bord hätte den Unfall am Samstag vermeiden können“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der französischen Pilotengewerkschaft, Gadraud, am Montag. In der Tat lassen die bisherigen, allerdings sehr unvollständigen Aussagen von einem der beiden A 320-Piloten vom Sonntag vermuten, daß ein Versagen der automatischen Spritversorgung Ausgangspunkt der Katastrophe war. Der Mechaniker an Bord sei gerade dafür da, um auf ein solches Versagen zu reagieren, meinte Garaud.
„Ich wollte wieder Gas geben, aber die Maschine ist dem nicht gefolgt“, erklärte der Pilot auf die Frage eines Journalisten spontan. Am Montag leugnete er allerdings diese Version. Der Gewerkschaftler Gadraud sah hier bereits den Druck der Hersteller einwirken: „Über einen technischen Fehler werden wir von Airbus oder Air France nichts erfahren.“ Und die kommunistische CGT-Gewerkschaft setzte darauf: „Die Sicherheit des A 320 ist ernsthaft in Frage gestellt.“ Währenddesssen konnte man am Montag weder von Airbus noch von Air France eine Stellungnahme zu Sicherheitsfragen vernehmen.
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