„Ich reise nur in links“

Bayerischer Verfassungsschutz sucht in Nürnberg Spitzel per Zeitungsannonce / Autonome und WAA-Gegner sollen infiltriert werden / Probleme mit „loser Gruppenstruktur“ / Auch Dritte-Welt-Gruppen sind verdächtig  ■  Aus Nürnberg Harald Sippel

Als Gerd S. (Name von der Redaktion geändert) in den roten Audi mit auswärtigem Kennzeichen steigt, hat er noch keinen Verdacht. Der Fahrer des Wagens, sportlich, lässig, dreißigjährig, ist für ihn „Herr Fellner“. „Detektei sucht Mitarbeiter bei guter Bezahlung“ stand in der Wochenendausgabe der 'Nürnberger Nachrichten‘ vom 23./24.April, auf die sich der Soziologe ohne feste Arbeit spontan beworben hat.

Er ist kein Schreibtischtäter, an der traditionellen Elfenbeinturm-Soziologie nicht interessiert. Die Stellenanzeige spricht ihn an. Ungefähr eine Woche später meldet sich ein Herr Fellner telefonisch bei ihm und will ihn am darauffolgenden Tag von zu Hause abholen. Gerd S. sagt zu. Im Auto erfährt er von seinem bayerisch sprechenden Mitfahrer zwar, daß dieser angeblich aus München kommt, aber weder Namen noch Adresse der Detektei.

Nebulös spricht der etwa 1,70 Meter große, schlanke Fellner von einem „größeren Auftrag in der Gegend“ und daß die anderen 17 Bewerber nicht seinen Ansprüchen genügt hätten. Sie wären mehr „Schicki-Micki-Typen“ gewesen oder stellten sich unter Detektiven „Typen wie James Bond“ vor. Die Kneipe, in der sie sich auf Vorschlag Fellners niederlassen, ist eine Vereinsgaststätte. Gerd S. erzählt von seinem Studium, in dem er sich vorwiegend durch teilnehmende Beobachtung mit sozialen Randgruppen und Subkulturen beschäftigt hatte.

Fellner bekommt glänzende Augen. Er greift in die Innentasche seines Jackets und zückt einen Dienstausweis: Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz. Gerd S. ist platt. Sofort gehen ist das erste, was ihm einfällt. Schließlich bleibt er doch - aus Neugierde.

Fellner erklärt S., daß es sich hier um einen neuen Versuch des Staatsschutzes handle, im nordbayerischen Raum Fuß zu fassen und geeignete Leute zu rekrutieren. Interessiert seien sie „an allem, was links ist außerhalb der traditionellen Parteien“. Es gehe darum, die Autonomen und die WAA-Gegner in den Griff zu bekommen.

Veranstaltungen der Marxistischen Gruppe oder die DKP seien dagegen kein Problem. Ziel ist es, „sich in die Szene einzuleben“, also Kontakte knüpfen, auf Veranstaltungen im Großraum Nürnberg-Fürth-Erlangen gehen und dort registrieren, wie sich jemand zu bestimmten Punkten äußert. Mehr werde erst mal nicht erwartet. Ob der Verfassungsschutz auch an rechten Kreisen interessiert sei, will Gerd S. wissen. „Ich reise nur in links“, antwortet Fellner lakonisch.

Weitere Zielgruppen, auf die S. ein Auge werfen soll, sind Dritte-Welt-Gruppen, Antiimperialistische Bewegungen und Anti-Nato-Gruppen. „Das gewalttätige Verhalten der Chaoten, die den Staat kaputtmachen wollen“, müsse man schließlich in den Griff kriegen. Und das ist für den Staatsschutz offenbar nicht ohne weiteres möglich. Es fällt ihm schwer, jemanden in die laut Bayerischem Verfassungsschutzbericht „lockeren, kurzlebigen Zusammenschlüsse“ der sogenannten Szene einzuschleusen.

Dabei stehen für den VS an erster Stelle Informationen, Verhaftungen erscheinen nicht opportun. Auf die Frage, ob ein eventuell gemeldeter Anschlag verhindert werden würde, antwortet Fellner nicht.

Die Spitzeleinweisung dauert etwa eineinhalb Stunden. Gerd S.‘ Gegenüber scheint gesprächsgeschult und über Aktivitäten der RAF und theoretische Schriften der Autonomen sehr gut informiert zu sein. Fellner hat nur den Auftrag, den Kontakt zu geeigneten Leuten herzustellen, die sich im informellen Spektrum der autonomen Gruppen auskennen. Bei einer Zusage von S., für den VS zu arbeiten, würde Fellners Zuständigkeit sofort enden. Ein Mittelsmann würde dann die Führung von S. übernehmen, S. würde einen Decknamen bekommen, und nur wenige würden die wahre Identität von S. kennen. Vor Gericht bräuchte er auch nicht aussagen, Hauptsache der Zugang zu S. bleibt gedeckt. Kontakte würden über Mittelsmann, tote Briefkästen und Telefonnumern laufen. Sollte S. allerdings Fehler machen, müßte er, so Fellner, mit Repressalien seitens der Szene rechnen. Fellner spricht von Schmierereien an der Hauswand, aber auch von körperlicher Bedrohung.

Für Gerd S. ist längst klar, daß er diese Offerte ablehnen wird. Auch wenn sich der Staatsschutz die Zusammenarbeit einiges kosten lassen würde. Für den Anfang sichert Fellner 800 bis 1.000 DM als „Grundgehalt“ in bar zu, zuzüglich Spesen und Urlaubsgeld. Für „besondere Infos“ gebe es „Cash extra“, bei guter Arbeit sei eine Erhöhung des Grundgehalts vorgesehen. Die eher witzig gemeinte Frage von S., ob denn die Lohnsteuerkarte gebraucht würde, beantwortet Fellner ernsthaft: „Jede Mark, die an Spitzel geht, wird vorab versteuert.“