: Bremerhaven: Alles Müll
■ Folgen für die Seestadt nach dem Müllurteil: Gebührenzahler entlasten - Stadt-Haushalt belasten / FDP-Dezernent kennt Urteilsbegründung noch nicht
In einer „miesen Lage“ sieht sich Bremerhavens Dezernent für die Stadtreinigung, Rudolf Heise (FDP). Heise, erst seit einem Monat für die Müllbeseitigung der Seestadt verantwortlich, muß sich nun mit den Folgen eines Urteils des Bremer Oberverwaltungsgerichtes zu den Bremerhavener Müllgebühren herumschlagen. Und diese Folgen können für den maroden Haushalt der Stadtgemeinde außerordentlich unangenehm sein.
Das Urteil vom 17. Mai, veröffentlicht in der vergangenen Woche, erklärt die bislang geltenden und von den Bremerhavener BürgerInnen bezahlten Müllgebühren für überhöht und daher nichtig. Die Bremer Verwaltungsrichter folgten damit im wesentlichen einer Klage des Grünen Harry Bohnsack, der es für rechtswidrig gehalten hatte, daß
Bremerhavener Haushalte überhöhte Müllgebühren zahlen und so die Müllanlieferung aus niedersächsichen Landkreisen subventioniert wird. (vgl. taz vom 19.5.88)
Die tatsächlichen Verbrennungskosten betrugen 1986 etwa 72 Mark. Die Landkreise Osterholz, Verden, Emden und Wesermarsch aber zahlen lediglich zwischen 23 und 28 Mark je Tonne Müll. Die Stadtgemeinde Bremerhaven aber überweist ca. 140 Mark je abgelieferter Tonne Müll an die stadteigene Müllbeseitigungsgesellschaft und holt sich dieses Geld über die Gebühren von den privaten Haushalten zurück.
Zwar hat Dezernent Heise den Urteilsspruch eine Woche nach der Veröffentlichung immer noch nicht gesehen, aber eines weiß er genau: „Das kann fuchtbar viel
Geld kosten.“ Um zwei Millionen Mark pro Jahr, so seine „Minimumschätzung“, wird sich die Stadt zusätzlich verschulden müssen, wenn die Gebühren für die Müllabfuhr gesenkt werden. „Denn die SPD-Fraktion, die das Ding damals beschlossen hat, wird das ja wohl nicht bezahlen“, kann sich Heise einen Seitenhieb auf den jetzigen Koalitionspartner nicht verkneifen.
Eine realistische Möglichkeit, die Fehlbeträge bei den Landkreisen hereinzuholen, die von der überdimensionierten Bremerhavener Anlage profitieren, gibt es auch nicht. Die Verträge gelten fast alle bis ins Jahr 2.000. Heise will zwar Nachverhandlungen mit dem Appell an den guten Willen führen, glaubt aber selbst nicht an nennenswerte Ergebnisse. Mehr Hoffnung setzt Heise auf den Finanzausgleich zwi
schen dem Land Bremen und Bremerhaven. Da der Bremerhavener Haushalt schon jetzt „das Zahlenwerk eines Pleiteunternehmens“ sei, müsse das Land die Zuwendungen für Bremerhaven aufstocken.
Oberbürgermeister Karl Willms (SPD) will sich zu solch einer Schlußfolgerung „noch nicht durchringen“. Es sei völlig falsch zu sagen, „das kostet uns soundsoviel Millionen“, korrigierte er gestern den Fachdezernenten Heise. Aber auch Willms, der die Begründung des Urteils immerhin schon gelesen hat, sieht die Notwendigkeit, eine neue Gebührenordnung zu verabschieden. Zu einer späten Selbstkritik an dem teuren Vergnügen Müllverbrennung sieht Willms aber keinerlei Anlaß: „Vielleicht wird man ja einmal sagen, auf lange Sicht war das besser so.“
hbk
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