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„Ich möchte keine Verhältnisse wie im Libanon“

■ Hun Sen, Ministerpräsident von Kambodscha, äußert sich zu den Friedensverhandlungen mit den kambodschanischen Widerstandsparteien Eine politische Lösung, die an die Integration der militärischen Truppen geknüpft wäre, lehnt Hun Sen entschieden ab

taz: In der Vier-Punkte-Erklärung, die nach ihrem ersten Gespräch mit Sihanouk veröffentlicht wurde, wird als Ziel ein „friedliches, unabhängiges, demokratisches, souveränes, neutrales und blockfreies Kampuchea“ genannt. Heißt das, daß Ihre Regierung bereit ist, die Verfassung aufzuheben?

Hun Sen: Wir konnten uns auf die Unabhängigkeit und Nichtpaktgebundenheit eines künftigen Kambodscha einigen. In dieser Frage haben wir, die amtierende Regierung, große Zugeständnisse gemacht, auch insofern, als wir alle Parteien eingeladen haben, sich an Friedensverhandlungen zu beteiligen. Wir erwarten aber, daß auch die andere Seite kompromißbereit ist. Wir sind uns sehr wohl der Tatsache bewußt, daß wir im Falle einer Einigung auch eine neue Verfassung brauchen. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang auch klarstellen, dß nur das Volk das Recht hat, die geltende Verfassung durch eine andere zu ersetzen.

Sie haben auch Son Sann und Repräsentanten der Roten Khmer zu Friedensgesprächen eingeladen. Wann und zu welchen Bedingungen erwarten Sie deren Zustimmung zu einer politischen Lösung des Konflikts?

Son Sann ist im Augenblick auf einem Schlingerkurs: Einerseits versucht er, von den Friedensgesprächen zwischen unserer Regierung und Sihanouk zu profitieren, indem er sich bereithält für den Fall, daß es zu einer Einigung kommt. Andererseits möchte er sich die Sympathien Chinas nicht verscherzen für den Fall, daß der Krieg weitergeht. Er hat mich über Mittelsmänner um ein inoffizielles Treffen gebeten. Dieses Gebaren windiger Geschäftsleute gefällt uns nicht.

Heißt das, daß Sie eine Zweierkonstellation nur mit Sihanouk ansteuern?

Ich habe bereits in Paris erklärt, daß wir Sihanouks Vorschlag einer provisorischen Regierung in Form einer Zweierkonstellation ernsthaft prüfen. Das Problem liegt eher darin, daß Sihanouk sich da offensichtlich seiner Sache nicht so sicher ist. Sein Ziel ist ja immer noch eine Viererkoalition, und zwar gedacht, sowohl als politischer, wie auch als militärischer Zusammenschluß.

Sie haben sich mit Sihanouk bereits auf die Durchführung freier Wahlen in Kambodscha geeinigt, umstritten ist aber offensichtlich nach wie vor, wann und unter welchen Voraussetzungen diese Wahlen stattfinden sollen?

Einigkeit besteht darüber, daß sich alle Parteien an diesen Wahlen beteiligen und daß die Wahlen unter internationaler Kontrolle stattfinden sollen. Das Problem für uns besteht darin, daß Sihanouk die Auflösung der Volksrepublik Kambodscha vorschlägt, dann die Einrichtung einer Interimsregierung und erst als dritten Schritt die Durchführung der Wahlen. Das Risiko ist viel zu groß! Wir schlagen deshalb vor. Erstens: Festschreibung des Status Quo, das heißt, alle militärischen Kräfte bleiben dort, wo sie sind. Zweitens: Bildung einer Wahlkommission. Drittens: Durchführung der Wahlen unter internationaler Kontrolle. Viertens: Alle Konfliktparteien verpflichten sich, das Wahlergebnis zu respektieren.

In einer „Erklärung der Volksrepublik Kambodscha“ vom vergangenen Oktober wird Bereitschaft bekundet, Prinz Sihanouk „ein hohes Amt in der Staatsführung“ zu übertragen. Welches Amt könnte das sein?

Nun, das hängt einmal vom Fortgang der Verhandlungen und Ausgang der anstehenden Wahlen an. Andererseits davon, wieweit Sihanouk überhaupt bereit ist, mit uns auf der Basis der jetzigen Verfassung zusammenzuarbeiten, etwa in einer Übergangsregierung. Wir haben ihm ein offizielles Amt angeboten. Wir wissen, daß Prinz Sihanouk früher Staatsoberhaupt und König dieses Landes war. Seine künftige Position kann deshalb nicht geringer sein.

Bei Ihren Einladungen an die Adresse der Roten Khmer unterscheiden Sie fein säuberlich zwischen dem kleinen Kreis der sogenannten „Polpotisten“, mit denen Sie nichts zu haben wollen, und anderen, wie Khieu Samphan, die Sie gerne in Verhandlungen einbeziehen möchten. Ist es nicht unaufrichtig, nun alles einer kleinen Clique in die Schuhe zu schieben?

Die Menschen hier im Land sind von diesen Versuchen, die Roten Khmer in Friedensverhandlungen miteinzubeziehen, nicht gerade begeistert. Die gesamte Führungsriege ist mehr oder weniger verantwortlich für das, was an Verbrechen geschehen ist, davon kann sie keiner freisprechen. Trotzdem müssen wir alles daransetzen, unser Volk von der Notwendigkeit dieser Friedensverhandlungen auch mit den Roten Khmer zu überzeugen - denn sie sind nun einmal Teil des Konflikts. Wir werden niemals einer Integration ihrer militärischen Kräfte in die Armee zustimmen.

Das heißt, Sie verwerfen den Voschlag Sihanouks, alle vier Streitkräfte zu vereinen? Steht und fällt dmit nicht das Projekt einer Viererkoalition?

Wenn eine politische Lösung tatsächlich an ein Zusammengehen der Truppen geknüpft ist, halten wir es für besser, auf eine Übereinkunft mit der Opposition ganz zu verzichten. Dann wäre immerhin gewährleistet, daß der Krieg auf einige Grenzgebiete beschränkt bliebe, während sich anderenfalls die verschiedenen Streitkräfte wieder überall, auch in den Städten bekriegen würden. Und ich möchte meinem Land wirklich Verhältnisse, wie sie im Libanon herrschen, ersparen.

Wie stark ist die Guerilla augenblicklich?

Ihre Aktivitäten beschränken sich heute auf kleinere Anschläge hier und da, mit denen sie militärisch nichts erreichen können. Unserer Schätzung nach hat Pol Pot noch etwa 20.000 bewaffnete Kämpfer, zum Teil in Thailand, zum Teil auf kambodschanischem Boden. Was die Truppen Son Sanns betrifft, so handelt es sich bei dieser sogenannten Befreiungsarmee nur um ein kleines Häuflein von Vagabunden und Schmugglern, das keinen anderen Zweck erfüllt, als den Zustrom von Geld und Hilfsgütern aufrechtzuerhalten und eine an sich bedeutungslose Gruppe im Ausland politisch in Szene zu setzen.

Die Stärke Ihrer eigenen Truppen wird im Westen auf rund 30.000 Mann geschätzt. Läßt sich damit die Guerilla in Schach halten, wenn die Vietnamesen abziehen?

Wenn wir nicht zu einer politischen Lösung kommen, wird der Krieg an der thailändischen Grenze und in einigen ländlichen Gebieten weitergehen. Sie werden jedoch nicht in die Städte vordringen können, solange wir uns einer militärischen Integration widersetzen.

Was halten Sie von Sihanouks Vorschlag, 1990, wenn die Vietnamesen abziehen, eine internationale Friedenstruppe nach Kampuchea zu entsenden?

Ich halte gar nichts von dem Vorschlag. Den vietnamesischen Truppen hat man vorgeworfen, sie würden die Kolonialisierung Kambodschas betreiben. Jetzt, wo Vietnam seine Truppen zurückzieht, fordert Prinz Sihanouk plötzlich, daß französische, schwedische, senegalesische und marokkanische Streitkräfte hier stationiert werden. Wäre das nicht eine Kolonisierung mal vier? Was, bitte, haben denn die sogenannten „Friedenstruppen“ im Libanon erreicht?

Die bereits erwähnte Oktobererklärung lädt auch die Flüchtlinge in den Lagern jenseits der thailändischen Grenze zur Rückkehr ein. Wäre Kambodscha denn tatsächlich in der Lage, mehr als 200.000 Rückkehrer zu verkraften, von denen noch dazu viele unter Einfluß der Roten Khmer waren oder noch sind?

Wir haben lediglich betont, daß wir bereit sind, diese Flüchtlinge wieder bei uns aufzunehmen. Wir sind mit dem UN -Flüchtlingskommissariat übereingekommen, daß wir über das UNHCR vermittelte Rückkehrer aufnehmen, egal woher. Bisher handelte es sich nur um kleinere Gruppen von Menschen, die aus familiären Gründen zurückkehren. Wir sehen in der Rückkehr von Flüchtlingen kein Problem für unser Land. 1979/80 waren die Probleme hier viel größer. Damals waren praktisch alle hier im Land unterwegs, zurück zu ihren Heimatorten, auf der Suche nach Angehörigen usw. Außerdem kehrten zur gleichen Zeit Zehntausende aus Vietnam, Laos und Thailand zurück, Landsleute, die vor dem Krieg oder den Roten Khmer geflüchtet waren. Wir werden es auch jetzt schaffen, wenn uns etwas internationale Hilfe auf materieller Ebene gewährt wird. Die politische Vergangenheit der Flüchtlinge interessiert nicht. Wir wissen jedenfalls, daß diese Leute nicht vor uns geflohen sind, sondern vor dem US-Krieg und dem Terror Pol Pots. Wir wissen auch, daß viele für die Truppen Pol Pots zwangsrekrutiert wurden. Jedes Jahr desertieren Tausende aus den Guerillaverbänden Son Sanns und der Roten Khmer, auch Offiziere. Wir haben sie alle aufgenommen und in unser gesellschaftliches Leben integriert.

Gibt es begründeten Anlaß zu der Hoffnung, daß ein wie auch immer geartetes Bündnis mit Sihanouk Ihrer Regierung endlich die Tür zur UNO und zur diplomatischen Anerkennung durch den Westen öffnet?

Man hat uns ja in den westlichen Medien oft unterstellt, nur auf dieses Ziel hin zu taktieren. Die Politik des Westens in der Kampuchea-Frage war ja immer sehr opportunistisch und von sehr engen Eigeninteressen bestimmt. Man sagt jetzt, Sihanouks Entscheidung würde respektiert und eine von ihm mitgetragene Regierung anerkannt. Aber was kann man schon auf ein derartiges Versprechen geben? Ich erinnere daran, daß es die Vereinigten Staaten waren, die damals Sihanouk gestürzt und Lon Nol an die Macht gebracht haben. Sihanouk wurde damals Opfer von Intrigen, und ich bin sicher, wenn der Westen und einige ASEAN-Staaten jetzt eine bessere Karte finden, dann werden sie nicht zögern, Sihanouk noch ein weiteres Mal fallen zu lassen!

Interview: Ulrike Baur, geführt vorkurzem in Phnom Penh

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