BRÖSEL IM MASCHINENRAUM

■ Gespräch mit dem E88-Werkstatt-Animator Stephan Stroux

Treffen, bei denen nichts entstehen muß und nicht schon Fertiges als eben erst Entstandenes präsentiert wird, sind eigentlich Bestandteil des E88-Werkstatt-Programms. Initiator eines dieser Treffen ist der 43jährige Theaterregisseur Stephan Stroux, zuletzt in Wien bei Tabori, dann in Amsterdam, in Lissabon, wo er 'Leonce und Lena‘ inszeniert hatte.

Stroux hatte das spanische Theaterkollektiv 'La Zaranda‘ auf einem Festival lateinamerikanischen Theaters in Cadiz mit dem Stück 'Mariameneo, Mariameneo‘ gesehen.

„Im Gegensatz zu den anderen Theatergruppen, die Kunst produzieren wollten, haben die einfach, mit den simpelsten Dingen, etwas über die Figuren der Menschen, etwas über ihr Leben und ihre Welt erzählt. Und diese Art und Weise, sich mit der eigenen Wirklichkeit auseinanderzusetzen, die Genauigkeit in den Materialien und den Bildern, die Brechungen in der Spielweise, das Wissen um die unterschiedlichsten Dramaturgien, wobei die Schauspieler immer ganz bei sich bleiben, das hatte mir sehr gut gefallen. Das war sehr authentisch. Die Gruppe wurde nach Berlin eingeladen, wo sie ihr Stück 'Mariameneo, Mariameneo‘ am 13. und 14.7. aufführen.“

Im Rahmen der Werkstatt will Stroux diese Gruppe nun mit der türkischen Theatergruppe 'Tiyatrom‘ zusammenbringen.

„Im Grunde genommen sind das zwei Enden von Europa, eine riesige Spanne. Aber nun weiß man, daß Andalusien einen sehr starken moslemischen Einfluß hat. Es gibt einen Kreis, von Nordafrika rüber bis zur Türkei und wir wollen sehen, mit welcher Emotionalität beide Gruppen dieser Stadt begegnen. Erstens: Wir versuchen, den subjektiven Punkt von jedem genau zu beschreiben. Die Türken haben zum Beispiel Fotos von ihren ersten zwanzig Jahren mitgebracht und dann haben wir angefangen, Geschichten zu diesen Fotos zu erzählen, und es entstanden wahnsinnige Sachen dabei. Fragen. Was bedeuten für das Kind die Kleider, die es anhat? Sind es die Eltern im Kind? Sieht es sich selber so? Es gab Fotos über ein Beschneidungsfest. Welche Gesten gab es da, wie hält man das Kind fest? Was passiert eigentlich dabei? Der Vater des einen war Beschneider, d.h. eigentlich Friseur und der Friseur hat aber auch die Beschneidungen durchgeführt und die Zähne gezogen.

Über ein Foto kann man drei Stunden reden. Er hat dann die Geschichten vorgespielt. Und jeder hat damit angefangen, Geschichten von sich zu erzählen. Da hat jemand als kleiner Junge jemand anderem einen Stein an den Kopf geworfen und der Vater hat ihn daraufhin an einen Baum gefesselt, das Hemd aufgemacht - und zwar in einer Gegend, wo sehr viele Bienen sind - und hat die Brust mit Honig beschmiert. Er kann darüber lachen, wenn er das erzählt. Wie haben Tränen gelacht, alle. Stell‘ dir mal vor, plötzlich machen wir daraus eine Prometheusgeschichte, zum Beispiel.

Zweitens: Sie haben eine Polaroidkamera bekommen und zwei Filme, und sie haben ihre zehn wichtigsten Fotos von Berlin gemacht. Sie sollten das beschreiben, was sie zuerst von der Stadt erwartet haben, was sie einmal toll fanden, also nicht den gegenwärtigen Stand, sondern die Erinnerung. Die ganze Zeit, die man in Berlin ist, in zehn Bilder fassen. Gleichzeitig den Weg dokumentieren, wo man war, wo man ist. Jeder wird die für ihn wichtigsten türkischen und deutschen Geschichten erzählen und daraus wird sich wieder eine bestimmte Fragestellung ergeben. Und all das passiert mit den Spaniern auch. Die bringen auch die für sie wichtigsten Kinderbilder mit, die Spanier werden zwei Tage mit Polaroid und Stadtplan, Markierungen, wo die Türken waren, losgeschickt, machen eigene Fotos usw.“

Es gibt weitere Kreise, am 5. Juli haben die Türken die Spanier zu einem Fest eingeladen, am 7. Juli gibt es ein spanisches Fest auf dem U-Bahnhof Westend; der spanische Elternverein wird kochen. Musik gibt's, vielleicht auch Theater.

„Vielleicht machen wir plötzlich eine Achtstundenaufführung, vielleicht machen wir auch nichts. Da hab‘ ich keinen Vertrag für. Es ist anders als bei den sogenannten Workshops. Jeder, der nur ein bißchen zugeguckt hat bei dem 'Workshop‘ von dem Herrn Kantor, wird genau wissen, daß der eigentlich 'ne fertige Inszenierung gebracht hat und dann hat der noch mal dreimal von rechts nach links verschoben, aber im Prinzip war alles fertig. Du kannst in zwei Wochen keine Inszenierung machen; wir werden vielleicht ein bißchen mehr voreinander wissen.

Gleichzeitig wird es eine Fotoausstellung der taz -Fotografin Marilyn Stroux geben. Sie war mit in Spanien und hat wunderschöne Fotos über die Prozessionen dort gemacht. Es gibt in der Karwoche vor Ostern eine Woche lang ungefähr fünfzig Prozessionen. Fünf pro Tag, die gehen fünf Stunden lang durcheinander. Die Bürger machen während des Jahres ein Versprechen, daß sie büßen und dann laufen sie durch die Straßen und schleppen tonnenschwere Madonnenbilder auf Tischen und unter diesen stehen dann die Leute ganz eng beieinander. Zwischendurch wird abgesetzt und dann geht ein Fenster auf, und jemand singt die Madonna an. Straßentheater. Gleichzeitig kirchliche Indoktrination schlimmster Art, Tradition, Inquisition. Klu-Klux-Klan -Kappen, Scharfrichtermützen in den verschiedenen Ordensfarben. Gleichzeitig heilig und ungeheuer heidnisch. Zwei Drittel der Stadt geht nicht in der Prozession mit, sondern begleitet sie von Kneipe zu Kneipe und säuft und säuft. Nach der kürzesten Zeit fängt man an zu halluzinieren...

Darum geht es in den Fotos, und die spanische Theatergruppe 'La Zaranda‘ hat eben aus den Widersprüchen der Gesellschaft, die sich dort zeigen, Katholizismus, Einfluß durch Politik, heidnische Feste, Stücke gemacht. Es kann sein, daß wir mit den Spaniern zusammen eine Prozession machen - am Wochenende ist der Kurfürstendamm zur Fußgängerzone erklärt worden - eine heilige Prozession mit unheiligen Bildern.“

Das Gespräch führte

Detlef Kuhlbrodt

Vorstellungen am 13. und 14. Juli um 20 Uhr im Media Centrum Ballhaus Rixdorf, Kottbusser Damm 76, 1-61;

Fotoausstellung - Prozession oder heidnisches Straßentheater ab 8.Juli, 12-20 Uhr, Vernissage: 7.Juli, 18 Uhr - Vino, Paella y Musica, Künstlerbahnhof Westend, Spandauer Damm, 1 -19.