piwik no script img

Forum des engagierten Streitens

■ Die 'Schlangenbrut‘, Zeitschrift für feministisch und religiös interessierte Frauen, wird zunehmend populär

Sechs Frauen zwischen 26 und 32 Jahren finden sich 1983 zusammen und gründen eine Zeitschrift die sich fortan zum zentralen Organ „feministisch und religiös interessierter Frauen“ qualifizieren wird: die 'Schlangenbrut‘. Das Redaktionskollektiv ist seit fünf Jahren in fast unveränderter Besetzung an der Arbeit. Der kleinste gemeinsame Nenner der sechs Frauen: enttäuschende Erfahrungen mit Universitätstheologen oder kirchlicher Arbeit. Von der haben fast alle Abschied genommen, das war „in einem anderen Leben“. Biographische Brüche haben die Energie zum Widerspruch freigesetzt und den Wunsch, der feministischen Theologie das zu verschaffen, was ihr bislang fehlte: ein Forum des engagierten Streitens.

LeserInnen, die von Anfang an dabei waren, konnten im Laufe der fünf Jahre mitverfolgen, „wie sich die 'Schlangenbrut‘ von einem selbstgetippten Blatt von 30 Seiten zu einer gesetzten Zeitschrift mit regelmäßig mehr als 50 Seiten entwickelt hat“. Dem autonomen Projekt ist es gelungen, 'Schlangenbrut‘ zu einer Zeitschrift zu machen, die sich (seit einiger Zeit) finanziell selbst tragen kann. Die Herausgabe eines Buches, das die besten Artikel sammelt, ist für 1989 geplant.

Nach wie vor ist diese „Streitschrift“, heute mit einer Auflage von 3.500 Exemplaren (begonnen wurde mit mutigen 1.000), bundesweit die einzige ihres Genres. Anspruch der Redaktion ist es, die feministisch-theologische Reflexion ausdrücklich im Sinne der autonomen Frauenbewegung zu betreiben. Doch dieses Selbstverständnis kann mitunter zum unerträglichen Zwiespalt führen: ist doch die Theologie eine patriachalische Wissenschaft par excellence, was den Feministinnen dieser Disziplin einen unwillkommenen Sonderstatus und die Last des Legitimationsdrucks auferlegt. Den haben sie satt: Die Feministische Theologie hat innerhalb des letzten Jahrzehnts Qualifikation und Radikalität entwickelt, die wohl kaum hinter der bewegten Arbeit anderer Geistes- und Gesellschaftswissenschaften zurücksteht.

Nicht zuletzt geht es darum, „die Brücken zu dem, was mann 'Transzendenz‘ nennt (...), nicht voreilig den Ideologen des Patriarchates zu überlassen“ (Ina Prätorius). Die einen stecken hier in einem spirituellen und identifikatorischen Dilemma: „Jesus oder Demeter“. Die anderen verstehen sich in der Tradition der feministischen Sozial- und Geschichtswissenschaften und rücken Probleme wie die geschlechtsspezifisierte Arbeitsteilung in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Innerhalb dieser Positionen ist für die Mitbegründerin der 'Schlangenbrut‘, Renate Rieger, die Anknüpfung an die Politische Theologie der 60er Jahre, an die lateinamerikanische und schwarze Befreiungstheologien noch möglich. Dorit Meyer dagegen gibt bereits grundsätzlich zu bedenken, „ob feministische Theologie überhaupt Theologie bleiben kann oder ob sie sich nicht auf feministische Religionskritik beschränken sollte“.

Dem Spektrum der Forschungsansätze und Standpunkte entspricht das Konzept der 'Schlangenbrut‘, „Streitschrift“ zu sein. Daß Vielfalt und Beliebigkeit jedoch eng beieinander liegen können, ist den 'Schlangenbrut'-Frauen bewußt: Die beständige Überprüfung des pluralistischen Konzepts hat so eine Zeitschrift ermöglicht, die den „Schwesternstreit“ in vorbildlicher Weise fruchtbar macht. Schon manche sind hier ins Gespräch gekommen. Die bislang wohl brisanteste Debatte entfachte vergangenes Jahr antisemitische Tendenzen innerhalb feministischer Theologie und Matriarchatsforschung.

Längst ist diese Zeitschrift für Theologinnen eine geschätzte Arbeitshilfe. Theologinnen - das sind für die Redaktion all jene Frauen, die sich unabhängig von Hochschulzeugnis und Beffchen durch Interesse und Engagement qualifizieren. Dies meint nicht weniger als die Überwindung der Grenzen akademischer Theologie. Folgerichtig kommt in der 'Schlangenbrut‘ neben den internationalen Galionsfiguren der „Szene“ (Elisabeth Schüssler-Fiorenza, Erika Wisselinck, Rosemary Radford Ruether und Catherian Halkes sind da nur einige von vielen) auch die „Basis“ zu Wort. So sind neben den Erläuterungen Mary Dalys zur „elemental-feministischen Philosophie“ auch Schubladentexte der geschiedenen Pfarrfrau zu lesen, Berichte vom Kirchenaustritt, von der Exkommunikation, von Abschied aus einem Orden - Zeugnisse der „kleinen Bewegungen“, die manches Leben vom Kopf auf die Füße stellen.

Esther Röhr

'Schlangenbrut‘, Streitschrift für feministisch und religiös interessierte Frauen

Verlag und Vertrieb: Schlangenbrut e.V., Postfach 7467, 4400 Münster; erscheint vierteljährlich, Einzelheft: 6,- DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen