: Rebellisch-erotische Tochter Gottes
Die feministische Theologin Elga Sorge analysiert den Zusammenhang zwischen der Unterdrückung der Frau und der herrschenden christlichen Religion, die Tod, Leid, Angst und Unterwerfung betont / Wird eine Streitbare von der Kirche zermürbt? / Ein Porträt ■ Von Heide Wohlers
Elga Sorge ist eine rebellische Tochter Gottes. Rebellisch wie Eva, die erste Frau in der Menschheitsgeschichte, die den Aufstand geprobt hat, gegen Gott, den All(zu)mächtigen. Elga Sorge hat gegen einen Vater-Gott opponiert, „der mir immer wieder sagt, daß er mich, seine Tochter, dem Mann unterwirft. Gott ist einer, der mich pausenlos zur Sünderin erklärt, einer, vor dem ich Angst haben muß, der mich ununterbrochen kontrolliert, der nur vergibt, damit ich wieder sündige und weiß, wie abhängig ich von seiner Gnade bin.“
Äußerungen wie diese haben der feministischen Theologin den Status einer Ketzerin eingebracht. Der Vorwurf der Kirchenoberen: Elga Sorge bekenne sich nicht zu Evangelium und Glauben. Für Außenstehende ist das, was die evangelische Kirche mit ihrer Lebenszeit-Beamtin treibt, nichts anderes als Hexenverfolgung. Wie Hexerei muß es Nicht-Eingeweihten auch erscheinen, daß es der Theologin dennoch gelungen ist, im Auftrag der Kirche 15 Jahre lang Religionslehrer und -lehrerinnen auszubilden und acht Jahre lang mit Genehmigung der Gesamthochschule Kassel feministische Theologie zu lehren. Den Gestellungsvertrag mit der Gesamthochschule, wo Elga Sorge die Unterrichtspraktika von Religionsstudenten leitete, kündigte die Evangelische Kirche von Kurhessen -Waldeck fristlos und fristgerecht im September 1987. Anlaß waren nicht etwa die radikalfeministischen Positionen der Theologin, auch nicht die Veröffentlichung derselben in ihrem Buch „Religion und Frau - Weibliche Spiritualität im Christentum“ 1985, die eigentliche „Sünde“ bestand in der Popularität, die dieses Buch erreichte, und in einem Auftritt von Elga Sorge in der 'NDR-Talkshow‘. Ist es Liebe oder Mord?
Radikalität und Klarheit zeichnen die Theologin Elga Sorge aus, eine Konsequenz, die sie nicht nur bei den „Kirchen -Vätern“ unbeliebt macht. Auch die Heerschar von Theologinnen, die in Gott immer noch den gütigen Vater suchen oder aus dem Bild des selbstherrlichen Gottes kurzerhand eines machen, das Männliches und Weibliches in sich vereint, sind empört über Elga Sorge und kündigen ihr die Schwestern-Solidarität. Für die feministische Theologin gibt es nichts zu beschönigen. Wo immer sie auftritt, predigt sie, daß das Evangelium, wie „die Evangelischen“ es interpretieren, nicht im Sinne Jesu sei. Und das Glaubensbekenntnis der „Evangelischen“ hält sie für „extrem reformbedürftig“. Darin heißt es : „Kreuz und Auferstehung Jesu gelten als vollkommener Erweis der Liebe des dreieinigen (Männer-)Gottes.“ Für Elga Sorge aber ist die Kreuzigung des Gottessohnes schlicht Mord. In Auferstehung und Christi Himmelfahrt (konsequenterweise inzwischen zum Vatertag umgemünzt) sieht sie weniger einen Ausdruck von Gottes Gnade als vielmehr die Machtdemonstration eines omnipotenten Vater-Gottes. Woran (Heilige) Schrift und Bekenntnis zu glauben befahlen, ist ein elitärer Gott, der bisher nur seinen „geliebten“ Sohn von den Toten auferweckt, all seine anderen Geschöpfe aber „vom ewigen Leben abschneidet“. Und das, sagt Elga Sorge, „ist das Gemeinste von ihm“.
Reformistisch ausgedrückt ist Elga Sorge längst zum (Sünden -) „Fall Sorge“ geworden, zu einem Medienereignis und damit auch zum Gegenstand einer Dokumentation des Evangelischen Pressedienstes. In eben jener Dokumentation 7/88 findet sich eine Erklärung des Bischofs der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck, Dienstherr von Elga Sorge, „zu einigen Aspekten der Lehräußerungen von Frau Oberstudienrätin im Kirchendienst Sorge“, die sich liest wie eine einzige Bestätigung ihrer Kritik an Männer-Gott und Männerkirche.
Mit der Herrschaft Gottes selbst meint Bischof Jung offenbar auch die Herrschaft rechtfertigen zu können, die die Kirche über ihre Dienerin ausübt: „Wo 'Herrschaft‘ mit der Realität der Liebe Gottes in Verbindung gebracht wird, wo also 'Liebe als Herrschende‘ bezeichnet wird - da erfährt eben 'Herrschaft‘ eine grundlegende Änderung.“
Auch Herrschaft wird - so Bischof Jung - auf diese Weise plötzlich „Liebe“. Diese Art von Liebe ist es, die Bischof Jung eigens für den „Fall Sorge“ einen „theologischen Gesprächskreis“ einrichten ließ. Diesem Gesprächskreis gehören auch vom Landesbischof nicht öffentlich berufene Personen an, nur der Bischof selbst darf über den Gesprächskreis und seine Ergebnisse berichten. Alle anderen, insbesondere die angegriffenen Elga Sorge, sind in der Öffentlichkeit zum Schweigen verurteilt. Auf diese Art wird „ermöglicht, das Gespräch mit Frau Sorge“ zu suchen. Kein Platz für Göttinnen
So wie das erste Gebot des Herrn andere Götter neben ihm verbietet, läßt auch Dienstherr Jung keine andere Auffassung als die der Kirchenväter zu, wenn er Elga Sorge mit der Bemerkung abkanzelt, im Stellenplan der evangelischen Kirche gäbe es keinen Platz für Göttinnen.
Mit Befremden stellt der Bischof fest, „daß Frau Sorge, die in der Weiblichkeit zum Bewußtsein ihrer selbst gekommen ist, (...) sich selbst gelegentlich 'Göttin‘ nennt“. In seiner Erklärung beweist Bischof Jung sodann, daß er die theologischen Ansichten von Elga Sorge, wenn auch nicht billigt, so doch immerhin verstanden hat: „Sie meint nicht den Gott, dessen unbegreifliche (!) Liebe uns Menschen durch Tod und Auferstehung Jesu Christi rechtfertigt, zur Liebe beruft und menschlich werden läßt. Der Gott, von dem sie spricht, ist die ganz irdische Eros-Kraft des Kosmos, der Mutter Erde, die alles schafft - auch Gott. Die Kraft des Eros soll entbunden werden durch die Selbstbefreiung der Frau aus den Fesseln des Patriarchats. Sie soll sich vollenden in einer Kultur des Eros.“
„Was die Evangelischen daran stört“, hält Elga Sorge dem entgegen, „ist die Vorstellung, die Menschen könnten selber etwas Entscheidendes zur Erlangung von Gnade und Erlösung beitragen.“ Was die Patriarchen daran stört, liegt auf der Hand. Weiblich-kreative Kraft ist das, was die Kirchenväter und ihr Gott ebenso fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Schon Evas Emanzipation - selbst zu erkennen, was Gut und Böse ist - haben sie zum Sündenfall erklärt. Maria, der Gottesgebärerin und Göttin, verpaßten sie ein ewiges Jungfernhäutchen und den Status einer Magd des Herrn. Zu Millionen haben Kirchenväter weise Frauen als Hexen verbrannt. Und 500 Jahre später sind sie immer noch dabei, Frauen von Altären und Kanzeln zu vertreiben. Was im Jargon eines „ordentlichen Gerichts“ daherkommt, „Vorermittlungen zu einem Disziplinarverfahren“ heißt, was im „Fall Elga Sorge“ in „Gesprächskreisen oder Untersuchungsausschüssen“ gerichtet wird, ist nichts anderes als eine zeitgemäße Variante der Inquisition. Disziplinarverfahren
Wie seit Tausenden von Jahren gilt es zu beweisen, daß Weib, Leib, Materie und Eros dem Mann, Geist, Gott und Logos unterlegen sind. Es gilt, die „Stützen des Patriarchats“ auf alle erdenkliche Weise zu sichern.
Vor dem kirchlichen Untersuchungsausschuß, dem ersten Schritt des Disziplinarverfahrens gegen Elga Sorge, ging es darum. Neben dem Vorwurf der Bekenntnis-Untreue wurde ihr zur Last gelegt, daß sie in einem Fernsehfilm „Werbung für ein bestimmtes Verhalten gemacht“ habe, dessen Beschreibung sich der Auschußvorsitzende nur mit Mühe entlocken ließ. Der Film war ein Porträt über die „rebellische Dienerin Gottes“, in dem Elga Sorge freimütig von ihrer Ein-Tages-Ehe erzählt. Schon am Hochtzeitstag hatte sie ihren frisch Angetrauten verlassen und war mit einem anderen Mann durchgebrannt.
Die Kirche vermutete dahinter ganz sicher jene ketzerische Grundhaltung, die Elga Sorge in ihrer 6.Erlaubnis (vormals 6.Gebot) niedergelegt hat: „Du darfst ehebrechen. Du kannst ja nicht anders, weil jede, die einen anderen Mann ansieht, seiner zu begehren, in ihrem Herzen schon die Ehe gebrochen hat. Aber natürlich darfst du auch treu sein.“ Ein strafwürdiges Verhalten ist der persönliche Lebenswandel der Theologin allerdings nicht. Ebenso können Fragen des Bekenntnisses nach Paragraph2Abs. 2 des Disziplinargesetzes der EKD nicht Gegenstand eines Disziplinarverfahrens sein.
Was die Kirche mit all den Anhörungen und disziplinarrechtlichen Untersuchungen erreichen will, weiß sie offenbar selbst nicht so genau. Die lebenslängliche Kirchenbeamtin aus dem Dienst zu entfernen scheint wegen der eingeschränkten juristischen Möglichkeiten jedenfalls schwierig. So hat man Elga Sorge vorerst von ihrer Tätigkeit an der Gesamthochschule Kassel entbunden und bei weiterlaufenden Bezügen „beurlaubt“. Was die Kriche erreichen kann, ist die eine Sache, was sie erreichen will, ist, daß die kritische Theologin Elga Sorge zu Kreuze kriecht. Das möge die Göttin verhindern.
Über die Befreiung vom Allmächtigen “... und dann habe ich Gottvater angekräht“ predigt Elga Sorge im Rahmen einer „Tochtergesellschaft“ in Berlin am Freitag, 8.Juli, im S -Bahnhof Schöneberg, Ebersstraße 67, um 20 Uhr.
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