: Straßburg will Euratom-Vertrag revidieren
Europäisches Parlament legt Entschließung aus Transnuklear-Bericht vor / Ein Parlamentarischer Kontrollausschuß und einheitliche Richtlinien der EG für Atomtransporte sollen Mißstände in der Atombranche verhindern helfen ■ Aus Straßburg Thomas Scheuer
Zusätzliche Paragraphenmaschen im Kontrollnetz sollen die Risiken der Atomwirtschaft im Zaum halten: Der Euratom -Vertrag soll revidiert, ein ständiger parlamentarischer Kontrollausschuß eingesetzt und einheitliche EG-Regeln für radioaktive Transporte und Atommüll festgelegt werden - das sind die Konsequenzen, die das Europäische Parlament am Mittwochabend in Straßburg in einer Entschließung aus dem Bericht seines Untersuchungsausschusses zum Transnuklear -Skandal zog. Grundsätzliche Kritik an der Atomwirtschaft fand keinen Eingang in die Mehrheits-Resolution.
Als Berichterstatter kam der deutsche Sozialdemokrat Gerhard Schmid zu dem Fazit, daß das EG-Recht im Rahmen des Transnuklear-Skandals nicht verletzt worden sei. Im gleichen Atemzug listete er aber beträchtliche Mängel und Regelungslücken des EratomVertrages auf. Dessen Verfassern hatte seinerzeit die Atom-Euphorie der 50er Jahre die Feder geführt. Schmids Kritik und seine mit Mehrheit abgesegneten Schlußfolgerungen zielen denn auch auf eine Generalrevision des Euratom-Vertrages ab: auf die Abkoppelung der Direktion „Sicherheitsüberwachung“ von der vertraglich auf die „Förderung der Kernenergie“ verpflichteten Euratom -Versorgungsagentur. Für die umstrittene Praxis des „Flaggentausches“ (swaps) - von Euratom in der Vergangenheit mehrfach abgesegnet - soll endlich eine verbindliche Rechtsgrundlage geschaffen werden, die die Umgehung von Embargos (z.B. für südafrikanisches Uran) ausschließt. Ferner werden EG-einheitliche Regelungen für Atomtransporte und Atommüll eingeklagt. So gilt die EG-Richtlinie für den grenzüberschreitenden Transport giftiger und gefährlicher Güter bisher ausgerechnet nicht für radioaktive Abfälle. In ihrer Entschließung zeigen sich die Euro-Parlamentarier besorgt über die Existenz von insgesamt 19 „gemischt -militärisch-zivilen“ Atomanlagen in Frankreich und England, die der Überwachung weitgehend entzogen sind. „Erhebliche Schwierigkeiten bei den Kontrollen“ werden für die Zukunft auch angesichts der ständig zunehmenden Produktion und Verarbeitung von Plutonium in der Atomindustrie vorausgesagt.
Die Parlaments-Entschließung übernahm auch den Knackpunkt des Schmid-Reports: die Kritik, daß „die Tätigkeit der EURATOM-Behörde bislang einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle - sowohl auf nationaler wie auf Gemeinschaftsebene - entzogen ist.“ Deshalb wird die Einrichtung eines besonderen Euratom-Kontrollausschusses im Europäischen Parlament verlangt - eine Forderung, welche die Grundsatzdebatte um die Befugnisse des bislang weitgehend kompetenzlosen Euro-Parlaments zusätzlich anreichern wird. Ferner soll die Euratom-Sicherheitsüberwachung zur Ausarbeitung eines öffentlich zugänglichen Jahresberichtes verpflichtet werden.
So pfiffig und radikal sich die EP-Entschließung, die auf EG-Ebene etwas Licht ins Dunkel der strahlenden Branche bringen soll, im Detail auch lesen mag - durchgängig bleibt sie doch dem Irrglauben verhaftet, Mißbrauch und Gefahren des Atoms seien kontrollierbar, wenn nur das Regel-Netz engmaschig genug ist. Eine generelle Kritik an der Atomwirtschaft wird strikt vermieden. Den Hinweis auf die völlig ungelöste Entsorgungsfrage strich die sozialistische Fraktion ebenso aus ihrem ursprünglichen Antragstext wie die Forderung nach einem alternativen Energie-konzept für die EG - zugunsten einer lascheren Allparteien-Resolution. So blieb es wieder einmal der grünen Einzelkämpferin Undine Bloch von Blottnitz überlassen, in einem chancenlosen Alternativ -Antrag die Fahne des Ausstiegs hochzuhalten und die Parlaments-Mehrheit als „politische Schaumschläger“ zu brandmarken.
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