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Verräter und Verratene

■ Bei den Filmfestspielen in Barcelona kam es zu einer historischen Auseinandersetzung. Edward Dmytryk, der während der Hexenjagd in Hollywood unter anderem John Berry und Jules Dassin dem Ausschuß für unamerikanische Umtriebe angezeigt hatte, traf mit den beiden zusammen.

Arno Widmann

Die Veranstaltung findet im Keller statt. Der Saal dort ein langes Rechteck. An dessen oberem Ende ein leicht erhöhtes Podium für die Diskutanten, ihnen gegenüber das Publikum, rechts und links an kleinen Pulten mit Mikrophon und bleistiftförmigen Leuchten die Journalisten und andere Bevorzugte. Der freie Raum in der Mitte wurde mit Tischen gefüllt, die darauf zu warten scheinen, daß man endlich die Leichen auf ihnen deponiert, damit Dr.Tulp seine Vorlesung beginnen kann. Immer mehr Leute füllen den Saal; es ist der Sitzungsraum des Stadtparlaments von Barcelona. Sie kommen in kleinen Gruppen, angeregt miteinander sprechend, wenden sich Bekannten und Freunden zu und scheinen andere überhaupt nicht zu sehen. Katalan und amerikanisch sind die Hauptsprachen. Manchmal verstummen alle Gespräche und es wird still in dem kleinen Saal. Dann schließt sich die Tür hinter dem Podium, ohne daß die Veranstaltung begonnen hätte, aufgeregtes Gemurmel hebt den Geräuschpegel und steigert die Spannung.

Thema ist heute: „Kunst und Macht“. Es geht um die Schwarzen Listen, die jahrzehntelang linke Filmemacher in Hollywood mit Berufsverbot belegten. Auf dem Podium sitzen einige der Opfer: Walter Bernstein, Drehbuchautor; John Berry, Regisseur, Jules Dassin, Regisseur unter anderem von Rififi, Rosaura Revueltas, die Hauptdarstellerin aus Bibermans „Salz der Erde„ und Daniel Taradash, Drehbuchautor.

Rosaura Revueltas dachte, jemand wollte sich über sie lustig machen, als man ihr am Telefon erklärte, man wolle beim Filmfestival in Barcelona eine Veranstaltung über die Schwarzen Listen im Hollywood der 40er und 50er Jahre machen. „Ich glaubte es nicht. Aber dann war ich glücklich, daß man sich an uns erinnerte. Als ich jetzt „Salz der Erde„ wiedersah, merkte ich: das ist ein aktueller Film. Die mexikanischen Arbeiter in den USA werden noch immer schlecht bezahlt, schlecht behandelt, erniedrigt und beleidigt.“ Nach ihrer Rolle in „Salz der Erde“ bekam sie in den USA keine Arbeit mehr. Die kleinen Freunde des großen Bruders sorgten dafür, daß sie auch in Mexico keine fand. Sie kam ans Ostberliner Theater am Schiffbauerdamm - „damals das beste Theater der Welt“ sagt sie. Nach der Arbeit mit Brecht ging sie ins revolutionäre Kuba, spielte Film und Theater, unterrichtete auch. „Ein großartiges Erlebnis. Da wußte ich dann, wozu die Schwarzen Listen gut gewesen waren.“

Rosanna Revueltas ist Schauspielerin. Sie braucht noch einen Abgang. Schon vor diesem Satz hat sie vorher ein paar mal aufgehört zu sprechen. Aber immer wieder neu eingesetzt, bis nach diesem Satz endlich Applaus kommt. Jetzt lächelt sie, sagt noch „Gracias“ und lehnt sich sichtlich zufrieden, aber von dem Kampf auch leicht ermüdet, zurück.

Jules Dassin erklärt: „Wissen Sie, Spanien, das war so wichtig für uns. Für unsere Generation (Jules Dassin wurde 1911 in Connecticut geboren - A.W.) hat alles in Spanien begonnen. Der Kampf der Republik gegen Franco. Das war ein entscheidendes Datum in unserer Geschichte. Wir sind froh, daß wir uns jetzt hier in Spanien unterhalten können, daß wir überlegen können, wie eine Wiederholung von faschistischen Methoden zu verhindern ist. Ich sage ihnen: vor dem ersten Schritt muß man sich hüten. Sowie man anfängt, den Mund zu halten, nicht mehr sagt, was man denkt, sowie man Rücksicht nimmt oder nur auf den eigenen Vorteil sieht, ist man verloren. Das ist der erste Schritt. Dagegen muß man sich wenden. Nicht erst gegen die Verfolgungen.“

Auf die Frage, was denn an dem Vorwurf - geäußert unter anderem ja auch von Gary Cooper und Robert Powell - die Linken hätten via Hollywood das amerikanische Publikum mit kommunistischer Propaganda impfen wollen, antwortete Dassin: „Blödsinn. Die Leute in Hollywood, die Chefs der Studios, die wollten Geld machen. Jeder Film wurde genauestens daraufhin abgeklopft, ob er irgendjemandem auf die Füße treten könnte und bei dem leisesten Verdacht, änderte man das Script, ja sogar den fertigen Film. Wenn ein Schauspieler das Wort Spaghetti falsch betonte, dann wurde er sofort korrigiert, weil man Angst hatte, die Italo -Amerikaner würden sich beschweren. Jede Kleinigkeit wurde kontrolliert. Kommunistische Propaganda aus Hollywood Blödsinn.“

John Berry, ein brillanter Rhetoriker, der sichtlich an größeres Publikum gewöhnt ist, schiebt das Mikrophon beiseite und wird laut: „Worüber wird hier denn geredet? Ob es kommunistische Propaganda in Hollywoodfilmen gab oder nicht? Seid ihr verrückt! Der McCarthyismus hat die amerikanische Moral zerstört. Vorher war der größte Verbrecher der Weltgeschichte „Judas der Verräter“, und jetzt zeigte der Freund den Freund, die Frau den Mann, der Bruder den Bruder an. Und das ein paar Jahre nachdem wir den Faschismus besiegt hatten. Wie war so etwas möglich? Das ist unser Thema. Darum geht's“ John Berry ist sehr laut geworden, aber man sieht dem stämmigen Mann mit dem Lockenkopf an, daß er noch ganz anders loslegen kann. Er haut nicht auf den Tisch, sondern seine rechte Hand geht nach vorn - „darum geht es“ - und man weiß nicht recht, will er dem zehn Meter entfernten Publikum einen Kinnhaken versetzen für die Richtung, die es der Diskussion gibt oder will er es miteinbeziehen in dieses „wir“, das den Faschismus besiegt hat und weiß, wo es lang geht. Ein Faktor behindert seinen Elan. Eine winzige Ungleichzeitigkeit. Der Redner ist daran gewöhnt, seinem Publikum die Reaktionen von den Augen abzulesen, bevor er sich steigert oder leise zurücknimmt, um es von einer anderen Seite zu nehmen. Das geht hier nicht.

Die meisten sind auf die Übersetzung der Simultandolmetscher angewiesen. Diese kleine Verzögerung schafft Pausen, die seiner Rede den Schwung nehmen. Jetzt scheint er abzuschweifen, von etwas anderem zu reden, aber man spürt, daß er ins Herz der heutigen Veranstaltung treffen will.

„1956 kam ich hierher nach Spanien. Wir drehten einen Film. Der Chefelektriker war Vorsitzender der falangistischen Gewerkschaft. Wir arbeiteten zusammen. Wir arbeiteten gut zusammen. Nach der Arbeit tranken wir zusammen, wir gingen zusammen zur Corrida. Eines Abends fragte ich ihn: „Was machst Du bei den Faschisten“ Er antwortete: „Francos Leute schnappten mich einmal und erklärten mir - ich war damals 19 Jahre alt: entweder Du verrätst uns, wo wir deine Freunde schnappen können und wirst Mitglied der Falange oder wir stellen Dich an die Wand.“ In Hollywood ist niemand von Mc Carthy mit dem Tod bedroht worden. Die Leute, die dort zu Verrätern wurden, haben ihre Swimmingpools verteidigt. Sie wußten aber, daß jeder, dessen Namen sie nannten, keine Arbeit mehr bekommen würde, daß sie seine Existenz vernichteten.

Als der Prozeß gegen die ersten zehn Hollywood-Linken lief, kam jemand zu mir und fragte mich: „Machst Du einen Film über die Hollywood Ten?“ Ich antwortete: „Du bist ein bekannter Regisseur, warum machst Du das nicht?“ Er antwortete: „Ich werde ins Gefängnis gehen für meine Prinzipien, da kannst Du auch was riskieren.“ Ich drehte den Film. Er verriet mich an das Komitee, nannte meinen Namen. Er sitzt heute hier. Es ist Edward Dmytryck.“

Edward Dmytryk, geboren 1908 in Canata, drehte 1935 seinen ersten Film. 1976 hatte er 53 fertig gebracht. In den 40er Jahren war er Mitglied der Kommunistischen Partei der USA geworden, später wieder ausgetreten. Als er vor die Kommission gegen unamerikanische Umtriebe gestellt wurde, war er schon ein paar Jahre nicht mehr KP-Mitglied. Die Kommission fand ihn schuldig. Edward Dmytryk mußte für sechs Monate ins Gefängnis. Heute sitzt er hier zusammen mit seiner Frau an einem der kleinen Pulte, links vor dem auf ihn herabzeigenden John Berry. Dmytryk ist ein weißhaariger, kleiner Mann, der gut als ein Endfünfziger durchgehen könnte. Er läßt sich zeigen, wie man das Mikrophon einstellt und sagt:

„Ich habe niemals bedauert, was ich getan habe. Manchmal kamen mir leichte Zweifel. Heute abend sind sie ein für alle mal verflogen. John Berry hat wieder genau das Spiel von Lügen und Halbwahrheiten begonnen, aus dem ich damals ausgestiegen bin. Es stimmt, ich habe damals Leute verraten. Ich habe es nicht für meinen Swimmingpool getan, nicht weil ich meinen Job in Hollywood brauchte. Ich hatte damals genügend Angebote aus England, um mich bequem abzusetzen. Ich habe sie verraten, habe ich gesagt. Aber das ist nicht ganz richtig. Ich habe beim Verhör Namen genannt. Nur Namen, von denen ich wußte, daß das FBI sie schon hat. Namen von Leuten also, die in jedem Fall noch mit hineingezogen worden wären. Warum ich überhaupt jemanden genannt habe? Ich wollte sie los werden, die Kommunisten und ich wollte den Ruf loswerden, einer von ihnen zu sein. Es ist gesagt worden, es hätte damals keine kommunistischen Propagandafilme in Hollywood gegeben. Das stimmt. Aber es gab Versuche dazu. Es gab lange Sitzungen, in denen man mich zwingen wollte, meine Filme mit kommunistischer Propaganda vollzustopfen. Das war auch der Grund, der letzte Anlaß, warum ich aus der Kommunistischen Partei austrat. Ich wollte mir nicht von Leuten, die keine Ahnung hatten, in meine Arbeit reinpfuschen lassen. Ich soll John Berry gebeten haben, einen Film über die Hollywood Ten zu drehen. Kein Wort ist wahr.“ Dmytryk wendet sich jetzt direkt zu Berry: „Ich war damals ein sehr angesehener und sehr guter Regisseur. Ich hätte Dich niemals gebeten, einen Film zu drehen. Dafür bist Du einfach ein zu schlechter Regisseur.“

Berry reagiert darauf überhaupt nicht. Dafür mit der Dolmetscherverzögerung der Diskussionsleiter, der Dmytryk bittet, keine persönlichen Beleidigungen loszulassen. Dmytryk redet sehr ruhig, sehr konzentriert weiter:

„Ich bin damals Sozialist geblieben, bin es bis heute. Ich bin niemals einer von denen geworden, die nach dem radikalen Chic sich auf der Rechten einfanden.“

Jules Dassin meldet sich. Er war befreundet mit Dmytryk und wurde wie Berry von diesem dem Ausschuß genannt.

„Als man mich einlud, nach Barcelona zu kommen, um über die Schwarzen Listen zu sprechen, war ich sofort einverstanden. Ich freute mich, daß man endlich mal bei einem Filmfestival auf dieses Kapitel eingehen wollte und ich freute mich darauf, Freunde wiederzusehen, die ich seit Jahrzehnten nicht gesehen hatte. Ein paar Tage nach diesem ersten Gespräch, rief man mich wieder an, um mir zu sagen, daß Dmytryk auch kommen würde. Man wolle beide Seiten hören. Ich sagte: Es ist ihr gutes Recht beide Seiten hören zu wollen, aber es ist auch mein gutes Recht, mich nicht mit Dmytryk an einen Tisch zu setzen. Ich werde mit ihm nicht über die Schwarzen Listen reden. Inzwischen weiß ich: Sie haben einen Fehler gemacht, als sie Dmytryk einluden. Es gibt keine zwei Zeiten. Es gibt nur die eine. Ich verstehe nicht, wie Dmytryk rechtfertigen kann, was er getan hat. Das mindeste wäre, daß er es bedauert. Als ich Dmytryk das letzte Mal sah, war er in Handschellen auf dem Weg zum Gefängnis. Ich ging zu ihm, umarmte ihn und sagte ihm, wir würden uns um seine Frau und die Kinder kümmern. Kurz darauf hat er dem Ausschuß meinen Namen genannt. Soviel zum Thema Freundschaft und soviel zum Thema Verrat.“

Niemand sagte etwas. Man hatte gerade Filmgeschichte erlebt, und mehr als das. Der Verrat, ein zentrales Thema des 20.Jahrhunderts, hatte ein Gesicht bekommen: das von Edward Dmytryk. Es war ein einnehmendes Gesicht. Einnehmender jedenfalls als der politische Eifer der Verratenen, die ja auch nichts verloren hatten, auch ihre Swimmingpools genießen können. Berrys Reden klangen zu sehr nach linkem Billy Graham, und Dassins weltmännischem Auftreten stand das Einklagen moralischen Rigorismus‘ ganz und gar nicht. Wer einmal in einer politischen Gruppe war und erfahren hat, welch ein Druck von ihr auf Einzelne ausgeübt werden kann, der wird Verständnis haben für einen Dmytryk, der sie loswerden wollte und darum verriet. „Keine Fragen mehr?“ Der Diskussionsleiter sah sich um. „Gab es Verbindungen zwischen den Hollywood Ten und Spanien?“ „Einige von ihnen hatten vorher in der Brigade Lincoln gekämpft und fast alle saßen in Komitees zur Unterstützung der aus Francos Spanien geflohenen Republikaner. Das war auch immer ein Punkt, der vom Komitee für unamerikanische Umtriebe mitaufgeführt wurde.“

„Gibt es heute noch eine Schwarze Liste?“

John Berry antwortet: „Es wäre nicht recht, wenn ich Namen nennen würde. Aber es gibt eine Schwarze Liste. Ich weiß von einigen Leuten, die aus politischen Gründen keine Arbeit bekommen.“

Dmytryk meldet sich. Der Tagungsleiter sieht das nicht, aber Dassin hat es wahrgenommen und sagt, Berry unterbrechend: „Wir hatten erklärt, daß wir nicht mit Dmytryk reden wollen. Jetzt sitzt er hier und tut so, als ginge es nur um ihn. Ich mache das nicht mehr mit. Ich gehe.“

Dassin ist noch nicht ganz aufgestanden, da hat der Diskussionsleiter die Veranstaltung abgebrochen. Für einen Augenblick sind die Anwesenden ratlos, blicken einander an, dann sehen sie zum Podium: da ist keiner mehr. Es scheint wirklich alles vorbei zu sein.

Frau Dmytryk hat den Kopf auf das Pult gelegt und weint. Die Tische in der Mitte sind immer noch leer. Zögernd trotten wir nach und nach aus dem Keller. Es ist Montag, der 4.Juli 1988. Die Vereinigten Staaten von Amerika feiern heute ihren Geburtstag.

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